Dolly - 01 - Dolly sucht eine Freundin
boshaft”, sagte Alice, die natürlich sofort eine Meinung über alles abgab. “Sie sind schreckliche Betschwestern – auf eine unangenehme Art. Sie glauben, daß sie selbst einfach unfehlbar sind. Sie verderben anderen jedes Vergnügen. Immer schleimen und schnüffeln sie herum. Als im einmal mitten in der Nacht über den Hof ging, um mich im Westturm mit Betty Hiller heimlich zu treffen, hatte Doris es irgendwie bemerkt, beobachtete mich durchs Fenster und lauerte, bis im zurückkam. Ein Biest!”
“Hat sie dich erwischt?” fragte Marlies, und ihre Augen wurden ganz groß vor Aufregung.
“Natürlich nicht! Glaubst du, ich ließe mich von so einer Gans erwischen?” fragte Alice spöttisch. “Als ich zurückkam, habe ich Doris erwischt – und sie kurzerhand in den Schuhschrank eingeschlossen!”
Irene brach wieder einmal in ihr lautes Gelächter aus, das alle zusammenfahren ließ. “Ich könnte mir niemals solche Streiche ausdenken wie du, Alice!” rief sie. “Kein Wunder, daß die Betschwestern jeden Morgen bei der Andacht zu dir hinstarren. Ich möchte wetten, sie beobachten dich immer, damit sie dich melden können, wenn du etwas Verbotenes tust.”
“Und im wette, daß im mit ihnen fertig werde”, sagte Alice wütend. “Wenn die mich hereinlegen wollen, dann lege ich sie noch gründlicher herein!”
“Ach, tu es doch!” bettelte Dolly, die für Späße und Streiche eine große Schwäche hatte.
Nur wagte sie nicht, sie selbst auszuführen. Aber sie war schnell bereit, andere dabei zu unterstützen.
Bald kannte Dolly auch die verschiedenen Klassenräume: den Zeichensaal mit seinem hellen Licht, den Chemieraum, der ein wenig unheimlich wirkte – wie eine Hexenküche.
Die große Turnhalle mit den Schaukeln, Seilen, Pferden und Matten gefiel ihr besonders gut.
Es war lustig, daß die Mädchen alle in ihren Türmen schliefen und in den anderen Teilen des großen Gebäudes den Unterricht bekamen. Dolly wußte jetzt auch, wo im Südgebäude die Lehrerinnen untergebracht waren – außer denen, die in den Türmen wohnten, um ein Auge auf die Mädchen zu haben, wie Fräulein Pott. Sie verstand nicht mehr, weshalb sie sich bei der Ankunft zuerst so verloren gefühlt hatte und vor Ehrfurcht fast erstarrt war. Jetzt kam sie sich gar nicht mehr wie eine Neue vor.
Am besten aber gefiel Dolly das große Schwimmbad – mit Sprungbrettern und Wasserrutschbahn! – unten am Meer. Es war aus dem Felsen herausgehauen. Seetang wuchs an den Seiten, und der felsige Grund fühlte sich manchmal ein bißchen schlammig an. Aber die See rauschte jeden Tag in das Becken hinein und füllte es mit schönem klaren Meerwasser. An manchen Tagen gab es sogar Wellen.
Die Küste selbst war zu gefährlich zum Baden. Ebbe und Flut waren zu stark; deshalb durfte kein Mädchen im offenen Meer schwimmen. Nur im Schwimmbecken waren sie sicher.
Marlies und Evelyn gingen nicht gern baden. Marlies hatte sowieso Angst, und Evelyn war ausgesprochen wasserscheu. Alices Augen funkelten immer, wenn sie die bibbernde Evelyn sah, und oft bekam das arme Mädchen einen unerwarteten Stoß, so daß sie schon Reißaus nahm, wenn Alice oder Betty nur ankamen.
Die erste Woche verging sehr langsam. Es gab viel zu lernen. Alles war neu und aufregend. Dolly fügte sich von Natur aus schnell ein; die Mädchen mochten sie bald gut leiden und nahmen sie in ihren Kreis auf.
Aber die arme Evelyn wurde weder aufgenommen noch gelitten. Und was Susanne Hoppe betraf, so ließ man sie in ihrem Schneckenhaus allein, nachdem man vergeblich versucht hatte, sie herauszulocken und ein wenig über ihre Familie und ihr Zuhause zu erfahren.
“Die erste Woche ist vorbei”, verkündete Alice eines Tages. “Sie vergeht immer sehr langsam. Später fliegen die Tage nur so dahin, und ehe man es sich versieht, stehen die Ferien vor der Tür. Du hast dich gut eingelebt, Dolly, nicht wahr?”
“O ja”, sagte Dolly. “Ich bin gern hier. Wenn es immer so nett ist wie jetzt, werde ich begeistert sein.”
“Warte nur ab!” erklärte Alice. “Zu Anfang ist immer alles großartig. Aber wenn du erst ein oder zweimal von Mademoiselle abgekanzelt worden bist oder von der Hausmutter bittere Medizin zu schlucken bekommen hast oder bei Pöttchen nachsitzen mußtest…”
“Hör auf!” schrie Dolly. “Das soll nicht vorkommen, Alice. Versuche nur nicht, mich bange zu machen.”
Doch Alice hatte natürlich recht. Ganz so leicht, wie Dolly glaubte, sollte es nicht weitergehen.
Alice
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