Dolly - 01 - Dolly sucht eine Freundin
leiden, wenn immerzu geschwatzt wurde, besonders während der Andachten.
Nach der Andacht gingen die Mädchen in ihre Klassen. Die Räume lagen alle im Westgebäude von Möwenfels. Dieser Teil war bald vom Klang eiliger Füße und von Lachen und Schwatzen erfüllt. In den Fluren vor den Klassenräumen war das Reden nicht verboten.
Die Erstkläßler gehörten in ein Zimmer mit einem schönen Blick über das Meer. An der einen Schmalseite des großen Raumes befand sich das Katheder, an der anderen standen rote Schränke. Pulte und Stühle waren in Reihen aufgestellt.
“Hurra, ich sitze am Fenster!” rief ein dickes Mädchen und ließ sich dort niederplumpsen.
“Hurra, ich auch!” rief Evelyn. Aber die Dicke starrte sie überrascht an. “Du bist doch eine Neue, nicht wahr? Also, dann kannst du deinen Platz nicht einfach selbst wählen. Die Neuen bekommen die Plätze, die übrig sind, wenn die Alten sich ausgesucht haben, wo sie sitzen wollen.”
Evelyn wurde rot. Sie warf den Kopf mit dem langen gold-blonden Haar zurück und setzte eine mürrische Miene auf. Dann stellte sie sich dicht neben das Pult, das sie sich ausgesucht hatte. Sie wagte zwar nicht, es in Besitz zu nehmen, war aber zu bockig, um es aufzugeben.
Ein kleines drahtiges Mädchen stieß sie weg. “Dieses Pult gehört mir! Hallo, Rita, hattest du schöne Ferien? Pech, daß wir wieder bei Pöttchen sind, was?”
Dolly wartete, bis alle Mädchen außer ihr, Susanne, EveIyn und zwei, drei anderen ihre Plätze hatten. Dann schlüpfte sie neben Alice und war froh über ihr Glück.
Alice tauschte gerade Neuigkeiten mit einem Mädchen an ihrer anderen Seite aus, mit dem sie sehr befreundet zu sein schien.
Dann drehte sie sich zu Dolly um. “Dolly, das ist meine Freundin Betty Hiller. Wir sitzen immer nebeneinander. Aber sonst gehört Betty leider in den Westturm!”
Dolly lächelte dem Mädchen zu. Betty sah sehr lebhaft aus. Sie hatte braune Augen, und ihre Haare fielen ihr ständig in die Stirn. Dolly fand Betty ganz nett, obwohl sie traurig war, daß Alice schon eine Freundin hatte. Sie hatte im stillen gehofft, daß sie sich mit ihr anfreunden würde. Weder Susanne noch Evelyn gefielen ihr besonders.
“Pssst!” machte das Mädchen neben der Tür. “Pöttchen kommt!”
Sofort war alles still. Die Mädchen standen auf und sahen nach vorn, als sie die schnellen, aber leichten Schritte ihrer Klassenlehrerin draußen auf dem Flur hörten. Fräulein Pott kam herein, nickte den Mädchen zu und sagte: “Setzt euch!” Die Lehrerin nahm die Liste mit den Namen heraus, rief alle auf und entdeckte dabei noch ein paar neue Mädchen aus den anderen Häusern. Dann wendete sie sich den erwartungsvollen Gesichtern zu.
“Nun”, sagte sie, “die Sommermonate sind bei uns immer am schönsten – mit Schwimmen und Tennis, mit Ausflügen und Wanderungen. Aber glaubt nicht etwa, es gäbe hier nur Vergnügen. Es muß auch tüchtig gearbeitet werden. Manche von euch werden viel Stoff nachzuholen haben. Arbeitet von Anfang an fleißig, dann schafft ihr es leichter. Wenn ihr schon jetzt zu faulenzen anfangt, dann kann ich euch versichern, daß ihr. wenn es auf die Versetzung zugeht, oft stöhnen und jammern werdet.”
Sie machte eine Pause und sah ein paar der Mädchen scharf an. “Vor den Ferien gab es einige, die ziemlich schlecht standen”, fuhr sie fort. “Kämpft euch etwas weiter nach vorn.
Von den Neuen erwarte im in der ersten Zeit niemals viel, Von euch aber desto mehr!”
Ein paar Mädchen wurden rot. Fräulein Pott redete weiter: “Ich glaube nicht, daß wir in dieser Klasse ausgesprochene Dummköpfe haben, obgleich ich natürlich von den Neuen noch nicht viel weiß. Wenn ihr schwer begreift und deshalb schlecht steht, werden wir euch nicht tadeln. Wenn ihr aber könntet und nur nicht wollt, dann bekommt ihr von mir etwas zu hören. Was, das könnt ihr euch sicher denken.”
“Ja”, antworteten die meisten Mädchen eifrig. Fräulein Pott lächelte, und ihr strenges Gesicht hellte sich einen Augenblick auf. “Nach all diesen Ermahnungen wollen wir anfangen. Hier habe ich ein Verzeichnis aller Sachen, die jede Schülerin besitzen muß.
Wenn einer irgend etwas fehlt, muß sie am Ende der Stunde zur Klassensprecherin gehen und es sich bei ihr besorgen.” Bald war der Unterricht in vollem Gange. Sie hatten Mathematik, und Fräulein Pott gab gleich eine schriftliche Aufgabe, um festzustellen, wie weit die Neuen waren und ob die Klasse gemeinsam arbeiten
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