Dolly - 03 - Ein Pferd im Internat
Dolly vor, als wäre sie schon seit Wochen wieder in der Schule.
Die Welt zu Hause schien ganz weit entfernt. Mitleidig dachte Dolly an Felicitas. Die kleine Schwester konnte nicht einmal ahnen, wie es in einem richtigen Landschulheim aussah, in dem man alles gemeinsam erlebte, gemeinsam aß, jeden Abend seinen Spaß hatte und dann gemeinsam schlafen ging.
Will war die ersten Tage recht schweigsam gewesen.
Dolly meinte, daß sie Heimweh hätte. Deshalb fragte sie sie eines Morgens, als sie gemeinsam den Korridor entlanggingen: “Hast du Heimweh?”
“Ach, nein”, sagte Will. “Höchstens Heimweh nach den Pferden! Ich muß immerfort an unsere Pferde zu Hause denken, die ich über alles liebe: an ,Schönheit’ und Stern’, an ,Neger’ und ,Samt’, an ,Mitternacht’ und ,Marienkäfer’…”
“Wie behältst du nur alle diese Namen?” fragte Dolly verwundert.
“Ich kann sie einfach nicht vergessen”, sagte Will feierlich. “Ich weiß, daß ich mich in dieser Schule wohl fühlen werde, aber ich vermisse unsere Pferde so schrecklich, das Donnern ihrer Hufe, ihr Wiehern und ihr Schnauben – ach, das kannst du alles nicht verstehen, Dolly. Du hältst mich bestimmt für verrückt. Siehst du, meine Brüder und ich sind jeden Morgen zu unserem Privatlehrer geritten, sechs Kilometer weit. Und nach dem Unterricht haben wir die Pferde wieder gesattelt und gezäumt – und los ging’s im Galopp über alle Berge!”
“Aber das kannst du nun einmal nicht dein ganzes Leben lang tun”, sagte Dolly mitfühlend. “Und in den Ferien hast du’s ja sowieso wieder wie früher. Du kannst dich glücklich schätzen, daß du Donner mitbringen durftest!”
“Sonst wäre ich nicht hergekommen. Ach, Dolly, bis zum Wochenende ist es noch so lange hin. Ich kann es nicht aushalten vor Sehnsucht, wenn ich Donner nicht jeden Tag sehe. Zu schade, daß Fräulein Peters nicht erlaubt, daß er hinten im Klassenzimmer steht.”
Dolly brach in ein helles Gelächter aus. “Ach, Will, du bist ja verrückt! Das gäbe einen Spaß, wenn Donner eine unserer beiden Französischlehrerinnen anwieherte, und sie wieherte auf Französisch zurück!”
Die Klasse hatte natürlich Wills Pferd schon gebührend bewundert. Es war wirklich reizend, wie Donner Will begrüßte, vor Entzücken wieherte, seine große samtene Nase in die Beugung ihres Armes steckte und ihr so deutlich wie möglich zeigte, daß er seine kleine Herrin anbetete.
Marilyn, die, anders als Margot, Evelyn, Diana und Marlies, keine Angst vor dem großen Pferd hatte, sagte: “Er ist wundervoll. Nur schade, daß du zum Reiten diese schrecklichen Hosen anziehen mußt.”
Will sagte ärgerlich: “Du würdest sicher mit wehenden Röcken reiten, das Haar lose herabhängend und die Finger mit kostbaren Ringen geschmückt.”
Marilyn lachte gutmütig. Sie spielte sich zwar gern als älter und erfahrener auf, verspottete die einfachen Kleider ihrer Mitschülerinnen, ihre Frisuren, ihr Vergnügen am Sport und ihr mangelndes Interesse für das Leben und die Laufbahn von Filmstars. Auf der anderen Seite aber war sie großzügig und freundlich und verlor niemals die Selbstbeherrschung; deshalb war ihr niemand ernstlich böse. Evelyn betete sie natürlich an. Marilyns wegen vernachlässigte sie Margot, was diese eingebildete junge Sängerin mächtig in Harnisch brachte.
Margot hatte im vorigen Jahr bei Fräulein Peters auf der schwarzen Liste gestanden, denn ihre Leistungen lagen unter dem Durchschnitt. Aber die Lehrerin hatte ein wenig Nachsicht geübt, weil Margot neu in der Klasse war. Damit war jetzt Schluß. Opernsängerin hin, Opernsängerin her – sie verlangte von Margot bessere Leistungen.
Selbst Evelyn ermahnte Margot eines Tages, mehr zu arbeiten und weniger an ihre Stimme zu denken.
Da wurde es Margot zu bunt. “Wenn ich deinen Rat brauche”, sagte sie ärgerlich, “dann werde ich es dich wissen lassen!”
Evelyn war natürlich bitter gekränkt.
Will konnte an diesem ersten Montag ihre Gedanken noch nicht sammeln. Sie starrte aus dem Fenster und schien weit weg zu sein. Sie achtete überhaupt nicht auf das, was die Lehrerin sagte.
“Wilhelmina”, fragte Fräulein Peters endlich, “hast du irgend etwas von dem in dich aufgenommen, was ich eben gesagt habe?”
Alle guckten Will an, die weiter aus dem Fenster blickte. Ein träumerischer Ausdruck lag auf ihrem netten Gesicht.
“Wilhelmina!” rief Fräulein Peters. “Ich rede mit dir!” Will nahm noch immer keine Notiz von
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