Dolly - 15 - Ein Möwenfest im Möwennest
vorbei und verließ den Raum.
„Mir ist, als hätte mir jemand ein Brett vor den Kopf geschlagen“, stammelte Dolly. „Kaum einen Tag ist es her, daß wir Pläne gemacht, uns auf die Rückkehr der Mädchen gefreut haben, und nun? Nun soll plötzlich alles aus sein?“
„Mon dieu, mon dieu! Wie ist so etwas nur möglich!“ jammerte die rundliche kleine Französischlehrerin Madame Monnier und machte ein Gesicht, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen.
Auch die übrigen Anwesenden standen mit blassen Gesichtern regungslos da, als sei eben in ihrer Mitte eine Bombe eingeschlagen und hätte ein Loch in den Boden des Zimmers gerissen, durch das man bis in den Keller hinuntersehen konnte.
„Wir sollten nicht sofort die Flinte ins Korn werfen!“ mahnte Klaus. „Frau Direktor Greiling sprach von einer Gefahr, die Burg Möwenfels droht, nicht von einer unumstößlichen Tatsache. Ich bin sicher, wenn jeder das Seine dazu tut, daß unsere geliebte Schule gerettet wird, werden wir eine Möglichkeit finden!“
„Zunächst einmal müssen wir uns bemühen, den Schülerinnen die Nachricht so schonend wie möglich beizubringen. Ich glaube, wir müssen uns da auf einiges gefaßt machen, bei dem Temperament der Mädchen“, sagte Franz Wollen. „Möwenfels ist für sie keine Schule, es ist…“
„… eine Weltanschauung“, vollendete Dolly seinen Satz. „Aber gerade darum hoffe ich, daß wir eine Lösung finden werden.“
Die Gruppe ging schweigend auseinander, jeder hing seinen Gedanken nach. Sie hatten Mühe, das eben Gehörte in seiner vollen Tragweite zu begreifen.
Dolly machte sich bereit, die Mädchen am Bahnhof zu empfangen. Es würde gut sein, mit den Busfahrerinnen schon auf der Fahrt über das zu sprechen, was in Burg Möwenfels in der vergangenen Nacht passiert war. Außerdem schien es ratsam, sich zu vergewissern, daß die Busse auch wirklich am Bahnhof auf die Ankömmlinge warteten. Nach dieser Nacht schien nichts mehr sicher oder selbstverständlich zu sein.
Die Landstraße war notdürftig von Zweigen und umgestürzten Bäumen befreit worden, aber rechts und links sah es trostlos aus. Nicht nur ausgerissene Bäume, Äste und Sträucher lagen auf Wiesen und Feldern, sondern auch Teile von Dachpappe, Plastikeimer, Müllsäcke, Wäschestücke; alles, was der Sturm mit fortgerissen hatte, bedeckte wie ein Teppich aus Abfall die Landschaft.
In der Kleinstadt hatte der Orkan grausame Verwüstungen angerichtet. Auch hier waren Fenster eingeschlagen, Dächer abgedeckt, Baugerüste zusammengestürzt, Autos demoliert worden. Es hatte Überschwemmungen und überflutete Keller gegeben, da und dort hingen abgerissene Dachrinnen herunter, Jalousien flatterten, aus ihrer Verankerung gelöst, wie Vorhänge vor den Fenstern.
Dolly, die sich den Wagen von Herrn Brosch geliehen hatte und nun in der Autowerkstatt nach einem Termin fragen wollte, wann man ihren eigenen Wagen abholen und in Ordnung bringen könnte, gab entnervt auf, als sie die Schlange von Kunden im Büro der Werkstatt sah. Sollte Klaus sich darum kümmern, vielleicht gelang es ihm, den Meister von der Dringlichkeit ihres Falles zu überzeugen.
Gegen fünf Uhr rollte der Zug im Bahnhof ein. Schon an der Art, wie sich die Türen öffneten, langsamer als sonst, fast zögernd, erkannte Dolly, daß man von dem verheerenden Orkan an der See gehört hatte. Die Mädchen stürmten nicht wie sonst mit Geschrei hinaus, ängstlich wanderten die Blicke umher, um sich von dem Ausmaß der Verwüstungen ein erstes Bild zu machen.
„Hausmutter! Ein Glück, daß Sie da sind! Wir haben uns so schreckliche Sorgen gemacht!“ schrie Olly; sie drängte sich an den anderen vorbei und fiel Dolly um den Hals. „Wir dachten schon, wir würden vielleicht gar nicht bis zur Burg durchkommen, wegen der vielen umgestürzten Bäume und der Überschwemmungen!“
„Nein, nein, die Straße ist wieder frei. Und sie sind überall dabei, die Schäden schleunigst zu beseitigen“, sagte Dolly und mußte nun ein Dutzend Hände zugleich schütteln.
„Und die Burg? Steht sie noch?“ rief Ulla aus dem Hintergrund.
„Die Burg hat schon mehrere Orkane überlebt“, antwortete Dolly diplomatisch.
Erleichterung malte sich auf den Gesichtern. Doch der gewohnte Überschwang fehlte bei der Begrüßung. Flüsternd machte man sich auf die Schäden aufmerksam, die ringsum zu sehen waren. Eilig zusammengekehrte Scherben, Dachziegelsplitter, der wie Streichholz abgeknickte Ahorn auf dem Bahnhofsvorplatz,
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