Dolly - 16 - Dollys schoenster Sieg
gut wie tot. Oder nein, etwas ist noch in ihm. Das einzige bißchen Lebendigkeit…. daß er meine Mutter zurückhaben will! Daß er sich nach ihr sehnt, auf sie wartet. Wirklich, er muß verrückt sein. Wahrscheinlich sind wir beide verrückt. Verrückt und kaputt.“
„Liebe“, sagte Dolly, „ist etwas, das wir tun müssen, nicht etwas, das wir bekommen. Erst wenn wir gelernt haben, nicht mehr danach zu fragen, was wir zurückbekommen für unseren Einsatz, wenn wir nicht fordern, dann haben wir begriffen, was lieben heißt. Wenn die Liebe zu deinem Vater nichts anderes ist als ein Warten auf etwas, auf Zärtlichkeit, Wärme, Aufmerksamkeit, Anteilnahme – dann hat das mit Liebe nichts zu tun. Und nun laß uns gehen. Ich friere. Und ich bin sehr, sehr müde.“
„Was werden Sie jetzt mit mir tun?“
„Ich?“ fragte Dolly erstaunt. „Gar nichts.“
„Aber Sie müssen mich doch bestrafen!“
„Muß ich? Ach, Gundula. Jeder straft sich im Grunde selbst. Indem er haßt. Indem er sich außerhalb der Gemeinschaft stellt. Indem er sich einsam und unglücklich macht. Wer könnte ihn schlimmer bestrafen, sag?“
Einer Möwe wachsen neue Flügel
Bevor sie die Burg betraten, rief Dolly die Mädchen zu sich. Gundula ließ sie ein wenig abseits warten.
„Hört zu, ich möchte, daß ihr mir versprecht, kein Wort über das zu sagen, was heute vorgefallen ist. Zu niemandem. Gundula hat nicht aus Bosheit gehandelt, sondern aus Verzweiflung. Die meisten von euch haben in ihrem Leben selbst schon mal eine solche Krise durchgemacht, also glaube ich, daß ihr mich verstehen werdet.“
„Wir versprechen es, Hausmutter!“ sagte Mona ernst, und die anderen stimmten ihr zu.
Als Dolly, Kathrinchen auf dem Arm, die verstörte Gundula neben sich, die Wohnung betrat, genügte ein Blick, um Klaus zu verständigen. Auch Ellen und Franz Wollert, die am Tisch saßen, verstanden, was Dolly sagen wollte. Klaus nahm schweigend seine Tochter in den Arm und drückte sie heftig an sich. Kathrinchen, die die ganze Zeit geschlafen hatte, blinzelte ein wenig und schloß sofort wieder die Augen.
„Ich bringe sie zu Bett. Ruh du dich erst mal aus.“
„Setzt euch, ich habe gerade frischen Tee gemacht“, sagte Ellen Wollert.
Ellen stellte Tassen, Zucker und Milch und die Kanne mit dem dampfenden Tee auf den Tisch und schenkte ein. Dann gab sie Franz einen Wink, und er stand auf.
„Ja, wir werden euch dann jetzt allein lassen. Wir haben beide noch Arbeiten zu korrigieren. Gute Nacht!“
„Gut Nacht euch beiden. Und vielen Dank.“
„Sollen wir drüben im Möwennest Bescheid sagen?“ fragte Ellen.
„Das wäre lieb, ja. Sagt Feli, ich rufe sie morgen an, jetzt bin ich zu müde.“
Gundula saß wie ein gerupfter Spatz am Tisch; sie schluckte mechanisch ihren süßen Milchtee und wagte sich nicht zu rühren.
„Du kannst heute nacht hier unten schlafen“, sagte Dolly. „In Kathrinchens Zimmer steht ein Bett für Gäste. Dann entgehst du für heute den neugierigen Fragen deiner Schlafsaal-Genossinnen. Ich habe übrigens den Mädchen aus der Vierten vorhin gesagt, sie möchten kein Wort von dem verraten, was heute geschehen ist.“
Gundula starrte Dolly ungläubig an. „Geh jetzt schlafen“, sagte Dolly. „Du siehst aus, als würdest du jeden Augenblick vom Stuhl fallen.“
Als Gundula später im dunklen Kinderzimmer im Bett lag, in einem seltsamen Zustand zwischen Erschöpfung und Überwachheit, hörte sie nebenan im Elternzimmer herzzerreißendes Weinen. Jetzt endlich war alle Beherrschung von Dolly gewichen, in den Armen ihres Mannes schluchzte sie hemmungslos.
Gundula in ihrem Bett machte sich ganz klein. Sie fühlte sich schuldig. Nicht für all das, was sie getan hatte, nein, das war das Verrückte: sie fühlte sich schuldig, weil sie nicht mehr unglücklich war und Dolly dort drüben zur Reichen Zeit so schrecklich weinte. Sie versuchte, weniger glücklich zu sein, versuchte, sich an ihren Kummer zu erinnern, an ihre Einsamkeit – vergebens. Hier lag sie und fühlte sich geborgen und umhegt und unbeschreiblich befreit. So schlief sie ein. Drüben im Elternschlafzimmer redeten sie noch lange.
Am nächsten Morgen hatte Dolly vierzig Grad Fieber. Ihr Hals war zugeschwollen, sie konnte kaum sprechen.
„Du mußt aufstehen, Gundula, die Hausmutter ist schwer krank!“ weckte KlausHenning Schwarze sie. „Paß bitte einen Augenblick auf Kathrinchen auf, ich muß rauf in die Schlafsäle, die Mädchen wecken.“
Gundula war sofort
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