Dolly - 16 - Dollys schoenster Sieg
zwei Monate alt war und fröhlich kreischend in ihrem Laufställchen stand, darauf wartend, daß eines der Mädchen sich erbarmen und sie aus diesem engen Gefängnis befreien würde.
Immer wieder mußte Dolly mahnen, immer wieder die gleichen Fragen beantworten.
„Ja, seit fünf Wochen kann sie allein laufen. Aber man darf sie jetzt keinen Augenblick ohne Aufsicht lassen, sie reißt alles herunter, muß alles anfassen… Ja, zwei neue Zähnchen… Nein, die weite Reise hat ihr gar nichts ausgemacht, im Auto hat sie die meiste Zeit geschlafen… Ja, wir haben uns herrlich erholt… Natürlich haben wir deine Karte bekommen, wir haben uns sehr gefreut! Oh, Kinder, ihr werdet alle zu spät zum Essen kommen, wir können uns doch später in Ruhe unterhalten!“
In den Schlafsälen sprach man über Kathrinchens Fortschritte und teilte bereits wieder den Babysitter-Dienst ein. In der Dritten steckten AnnaSophie und Franziska die Köpfe zusammen und unterhielten sich flüsternd darüber, ob Kathrinchen wohl bald ein Geschwisterchen bekommen würde.
Nur in der Zweiten gab es ein wichtigeres Thema: die neue Lehrerin. Sie sollte die Klassenlehrerin der Zweiten werden, und die Eisenbahnerinnen, die unter der Obhut von Fräulein Pott und Fräulein Wehmut gereist waren, hatten sie schon gesehen. Sie wurden von den anderen bestürmt.
„Dick? Und blond? Blond gefärbt? Im Ernst?“
„Ich denke, sie soll schon so alt sein wie Pöttchen?“
„Wie dick denn?“
„Ist doch egal! Viel wichtiger ist, ob sie nett ist.“
„Nett, ach, wie soll man das beurteilen“, meinte Cornelia achselzuckend.
„Na hör mal, wenn man ein paar Stunden miteinander im Zug gesessen hat, weiß man doch, ob jemand nett ist“, rügte Hannelore die Kameradin. „Oder was habt ihr die ganze Zeit gemacht?“
„Gesungen.“
„Gesungen?“
„Ja, sie wollte es so. Sie hat losgesungen, und wir mußten mitsingen.“ Cornelia schaute zu ihrer Freundin Juanita hinüber. Die verzog das Gesicht. „Sie hat eine Stimme wie… na ja, unheimlich laut und gefühlvoll.“
„Sie wabbelt“, stellte Juanita fest.
„Sie tut was?“
„Alles an ihr wabbelt. Der Busen, der Bauch und die Stimme. Oder bibbert, könnte man auch sagen. Ihr Kinn macht immer so…“
Juanita versuchte ihr Kinn in zitternde Bewegung zu bringen, mußte aber feststellen, daß ihr dazu entweder das bewegende Gefühl oder ganz einfach die Begabung fehlte.
„Eigentlich wollte sie Opernsängerin werden, hat sie uns erzählt“, berichtete Fanny. „Und dann hat sie uns etwas aus einer Oper vorgesungen. Es war grauenvoll.“
Babsi hatte die ganze Zeit interessiert zugehört. Jetzt mischte sie sich ins Gespräch.
„Ich stelle fest, wir haben vermutlich Glück gehabt. Mit der werden wir leicht fertig.“
„Warum glaubst du das?“
„Ist doch klar: wann immer die Situation brenzlig wird, ich meine, wenn eine Arbeit droht oder ein Ausfragen oder so, brauchen wir nur zu sagen, ach Fräulein Wehmut, singen Sie uns doch bitte etwas vor! Und sie tut’s. Die Gelegenheit läßt sie sich bestimmt nicht entgehen.“
„He, da könntest du recht haben! Gar nicht schlecht“, meinte Regine.
„Nicht so schlecht, wie einem davon werden kann! Du hast sie ja noch nicht gehört!“ Juanita rollte die Augen. „Sie kräht wie ein Huhn, dem man gerade den Hals umdreht.“
„Oder wie ein Hund, der den Mond ansingt“, fügte Cornelia hinzu.
„Eigentlich sind wir gemein!“ sagte Regine.
Die Mädchen lachten.
„Die Opern sind ja noch nicht das Schlimmste“, erklärte Juanita. „Aber sie liebt alte Kirchenlieder, so ganz altmodische Sachen, bei denen kein Mensch mehr den Text richtig versteht. Ich wette mit euch, wir müssen im Musikunterricht jetzt das ganze Zeug lernen!“
„Ach, ich mag so alte Lieder.“ Hilda lächelte die anderen sanft an. „Sie sind so schön traurig und geheimnisvoll.“
„Aber nicht, wenn Fräulein Wehmut sie singt! Du wirst schon sehen!“
„Es läutet zum Essen, endlich, ich sterbe vor Hunger!“
Babsi rannte den anderen voraus zur Treppe.
„Hoffentlich kommt Fräulein Wehmut nicht auf die Idee, uns vor dem Essen erst einen Choral mit zehn Strophen singen zu lassen“, stöhnte Fanny. „Ich schwöre euch: dann falle ich vor Hunger mausetot unter den Tisch. Irgendwann zwischen dem siebten und achten Vers spätestens!“
„Und was sagt unsere liebe Alexa zu unserer neuen Lehrerin?“ erkundigte sich Berti jetzt und warf einen Seitenblick auf das verweinte Gesicht des verwöhnten
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