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Dom Casmurro

Dom Casmurro

Titel: Dom Casmurro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joaquim Maria Machado de Assis
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erste Kind
    «Gib her, ich will etwas schreiben.»
    Capitu sah mich auf eine Art an, die mich an José Dias’ Definition denken ließ: listig und hinterhältig; sie hob nämlich den Blick, ohne mich anzusehen. Mit leiser Stimme fragte sie: «Sag mir eins, aber sprich die Wahrheit, ich will keine Heuchelei; du musst antworten, was dein Herz dir gebietet.»
    «Was ist los? Sag schon.»
    «Wenn du dich zwischen mir und deiner Mutter entscheiden müsstest, für wen würdest du dich entscheiden?»
    «Ich?»
    Sie nickte.
    «Ich würd e … aber wozu diese Entscheidung? Mama würde mich so etwas niemals fragen.»
    «Nein, natürlich nicht, aber ich frage dich. Stell dir vor, du bist im Seminar und erhältst die Nachricht, dass ich im Sterben lieg e …»
    «Sag nicht so etwas!»
    « …Oder dass ich vor Sehnsucht umkomme, wenn du nicht sofort kommst, aber deine Mutter will nicht, dass du kommst. Sag mir, kommst du dann?»
    «Ja, ich komme.»
    «Gegen den Willen deiner Mutter?»
    «Ja, gegen den Willen meiner Mutter.»
    «Du verlässt das Seminar, verlässt deine Mutter, verlässt alles, um mich sterben zu sehen?»
    «Sprich nicht vom Sterben, Capitu!»
    Capitu lachte schwach und ungläubig auf und kritzelte mit dem Bambusstock ein Wort auf den Boden. Ich beugte mich vor und las: «Lügner» .
    Das Ganze war so merkwürdig, dass ich keine Antwort darauf fand. Ich begriff nicht, warum sie das schrieb, und genauso wenig begriff ich, warum sie das sagte. Wäre mir eine große oder eine kleine Beleidigung eingefallen, hätte ich sie womöglich niedergeschrieben, mit demselben Bambusstock, aber mir fiel nichts ein. Mein Kopf war leer. Gleichzeitig überfiel mich die Angst, man könnte uns hören oder dies lesen. Aber wer, wenn wir doch alleine waren? Dona Fortunata war einmal an der Haustür erschienen, indes gleich wieder hineingegangen. Wir waren also vollkommen allein. Ich erinnere mich daran, dass ein paar Schwalben den Hof in Richtung des Hügels von Santa Teresa überflogen. Sonst war niemand da. In der Ferne ein dumpfes Stimmengewirr, von der Straße her das Trappeln von Pferdehufen, vom Haus das Zwitschern von Páduas Vögelchen. Sonst nichts, nur dieses merkwürdige Phänomen, dass das von ihr auf den Boden gekritzelte Wort mich spöttisch anblickte. Und mehr noch, es schien sogar in der Luft widerzuhallen. Da kam mir ein böser Gedanke. Ich bemerkte, dass das Leben eines Pfarrers eigentlich gar nicht so schlecht sei und ich mich ohne große Mühe daran gewöhnen könnte. Als Rache war das kindisch, aber ich verspürte insgeheim die Hoffnung, dass sie sich tränenüberströmt auf mich stürzen würde. Doch Capitu riss lediglich die Augen auf und sagte: «Pfarrer zu sein ist schön, ohne Zweifel; besser als Pfarrer ist höchstens noch Domherr, wegen der lila Strümpfe. Lila ist eine wunderschöne Farbe. Wenn ich es mir recht überlege, ist Domherr besser.»
    «Aber man kann doch nicht Domherr werden, ohne vorher Pfarrer gewesen zu sein», sagte ich und biss mir auf die Lippen.
    «Na ja, dann beginnst du eben mit den schwarzen Strümpfen, und danach kommen die lilafarbenen. Auf keinen Fall aber will ich deine Primiz verpassen. Gib mir rechtzeitig Bescheid, damit ich mir ein modisches Kleid nähen lasse, mit Reifrock und großen Rüsche n … Aber vielleicht ändert sich die Mode bis dahin ja noch. Die Kirche sollte groß sein, vielleicht die Carmo-Kirche oder die São Francisco.»
    «Oder die Candelária.»
    «Die Candelária geht auch. Irgendeine davon, solange ich nur bei deiner Primiz dabei sein kann. Ich werde eine gute Figur abgeben. Die Leute werden fragen: ‹ Wer ist denn diese schmucke junge Dame in dem hübschen Kleid? › – ‹ Das ist ist Dona Capitolina, eine junge Frau, die in der Rua de Matacavalos gewohnt ha t … › »
    «Gewohnt hat? Wirst du umziehen?»
    «Wer weiß, wo ich morgen wohnen werde?», antwortete sie mit einem Anflug von Melancholie. Doch dann wurde sie wieder sarkastisch. «Und du stehst singend am Altar, in deiner Albe mit dem goldenen Messgewand darübe r … Pater noste r … »
    Ach, wie sehr bedauere ich es doch, kein romantischer Dichter zu sein, der dies alles als ironisches Duell hätte beschreiben können! Ich hätte sowohl meine als auch ihre Angriffe beschrieben, ihre Anmut und meine Schlagfertigkeit, das strömende Blut und unsere Seelenwut, bis hin zum letzten Schlag, der folgender war: «Ja, Capitu, du wirst meine Primiz hören, aber unter einer Bedingung.»
    Worauf sie

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