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Dom Casmurro

Dom Casmurro

Titel: Dom Casmurro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joaquim Maria Machado de Assis
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sie aufzumuntern, doch auch ich bedurfte der Aufmunterung. Wir sanken auf das Sofa und starrten in die Luft. Nein, das ist gelogen; sie starrte auf den Boden. Sobald ich mir dessen bewusst wurde, tat ich es ihr gleic h … Aber ich glaube, Capitu blickte eher in sich hinein, während ich wirklich auf den Boden starrte, auf die rissigen Ritzen, in denen zwei Fliegen herumliefen, und auf ein zersplittertes Stuhlbein. So wenig dies war, lenkte es mich doch von meinen Sorgen ab. Als ich mich erneut Capitu zuwandte, bemerkte ich, dass sie sich nicht mehr rührte, und bekam eine solche Angst, dass ich sie sanft rüttelte. Capitu kehrte in die Außenwelt zurück und bat mich, ihr noch einmal zu erzählen, was sich mit meiner Mutter zugetragen hatte. Ich tat es und milderte diesmal meine Worte etwas ab, um sie nicht zu verdrießen. Nennt mich nicht falsch, liebe Leser, sondern lieber mitleidsvoll, denn natürlich fürchtete ich, Capitu zu verlieren, weil all ihre Hoffnungen dahinschwanden, zudem tat es mir weh, sie so leiden zu sehen. Und die letzte Wahrheit, die wahrhaftigste Wahrheit ist, dass ich es bereits bereute, mit meiner Mutter gesprochen zu haben, ehe José Dias sich noch ernsthaft eingesetzt hatte. Streng genommen hatte ich mir nur eine fast schon sicher erscheinende, wenngleich noch nicht akute Enttäuschung ersparen wollen. Und Capitu überlegte, überlegte und überlegt e …
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    Hast du Angst?
    Auf einmal beendete sie ihre Überlegungen, sah mich an mit ihren Augen wie das wogende Meer und fragte, ob ich Angst hätte.
    «Angst?»
    «Ja, ich frage dich, ob du Angst hast.»
    «Angst, wovor?»
    «Angst, geschlagen zu werden, Angst, ins Gefängnis zu kommen, dich zu streiten, fortzugehen, zu arbeite n …» Das verstand ich nicht. Hätte sie einfach nur gesagt: «Lass uns gehen!», hätte ich gehorcht oder auch nicht, hätte es aber zumindest verstanden. Aber diese Frage, so unklar und aus dem Zusammenhang gerissen, begriff ich einfach nicht.
    «Abe r … ich verstehe dich nicht. Geschlagen zu werden?»
    «Ja.»
    «Von wem geschlagen werden? Wer sollte mich denn schlagen?»
    Capitu machte eine ungeduldige Handbewegung. Ihre Augen wie das wogende Meer blickten starr und schienen zu wachsen. Ich war ratlos, wollte aber nicht noch einmal nachfragen, also dachte ich darüber nach, wo man mich schlagen könnte und weshalb, warum ich ins Gefängnis kommen und wer mich verhaften sollte. Großer Gott! Im Geiste sah ich bereits den Kerker vor mir, ein dunkles, stinkendes Gemäuer. Und zudem das Gefangenenschiff, die Militärkaserne in der Rua dos Barbonos und das Zuchthaus in der Rua do Conde. All diese schönen mildtätigen Einrichtungen zogen mich in ihren geheimnisvollen Bann, während Capitus Augen wie das wogende Meer immer mehr wuchsen, bis sie mich alles andere vergessen machten. Capitus Fehler war, dass sie sie nicht bis ins Unermessliche wachsen, sondern wieder auf eine normale Größe schrumpfen ließ und ihnen den üblichen Ausdruck verlieh. Capitu war wieder ganz die Alte. Sie scherze nur, sagte sie, ich bräuchte mich nicht zu sorgen. Und mit einer anmutigen Geste gab sie mir einen Klaps auf die Wange und sagte lächelnd: «Angsthäschen!»
    «Ich? Abe r …»
    «Es ist nichts, Bentinho. Wer sollte dich denn verprügeln oder gefangen nehmen? Entschuldige, aber ich bin heute ein wenig verrückt; ich will einen Scherz machen un d …»
    «Nein, Capitu, du scherzt nicht; in einer solchen Lage ist keiner von uns zu Scherzen aufgelegt.»
    «Du hast recht, es war nur eine kleine Verrücktheit von mir. Bis später.»
    «Bis später?»
    «Mein Kopf tut wieder weh, ich werde mir eine Zitronenscheibe auf die Schläfen legen.»
    Das tat sie, und anschließend band sie sich das Tuch wieder um. Sie begleitete mich auf den Hof, um sich von mir zu verabschieden. Zuvor setzten wir uns jedoch noch für ein paar Minuten auf den Brunnenrand. Es war windig, und der Himmel war bedeckt. Capitu sprach erneut von unserer Trennung, als wäre sie schon eine beschlossene Sache, während ich, dasselbe fürchtend, sie aufzumuntern suchte. Wenn Capitu gerade nicht redete, ritzte sie mit einem Bambusstock Nasen und Profile in den Boden. Seit sie angefangen hatte zu zeichnen, war dies eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen; alles diente ihr als Papier und Bleistift. Da ich an unsere in die Mauer geritzten Namen denken musste, wollte ich es ihr nachtun und bat sie um den Stock. Sie hörte jedoch nicht oder wollte ihn mir nicht geben.
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    Das

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