Dom Casmurro
der brave Sohn, der ich war. Anschließend sprach sie ernst und lange über das Gelübde, das sie abgelegt hatte; sie erzählte mir nicht die Umstände und auch nicht den Anlass oder die Gründe; das erfuhr ich alles erst später. Sie bekräftigte nur das Wesentliche: dass sie es erfüllen müsse, weil sie es Gott schuldig sei.
«Der Herrgott hat mir geholfen, indem er dein Leben gerettet hat, da werde ich ihn doch nicht anlügen oder ihm den Gehorsam verweigern, Bentinho! Das wäre eine Sünde, und Gott ist groß und mächtig, das würde er mir nicht durchgehen lassen. Nein, Bentinho, ich weiß, dass ich dafür bestraft würde, und zwar schlimm. Priester zu werden ist schön und heilig; du kennst doch viele, Pater Cabral zum Beispiel, der so glücklich mit seiner Schwester lebt; ein Onkel von mir war ebenfalls Priester und wäre um ein Haar Bischof geworden, heißt e s … Sei also nicht so bockig, Bentinho.»
Ich glaube, der Blick, den ich ihr zuwarf, war so vorwurfsvoll, dass sie das zuletzt Gesagte korrigierte; bockig, nein, bockig sei ich nicht, schließlich wisse sie ganz genau, dass ich sie liebte und nicht in der Lage sei, ein Gefühl vorzutäuschen, das ich nicht empfand. Schwach, habe sie sagen wollen. Ich solle nicht so schwach sein, solle zum Mann werden und meine Pflicht erfüllen, zu ihrem Wohle und zu meinem eigenen Seelenheil. All dies und noch mehr brachte sie etwas überstürzt hervor, und ihre Stimme klang nicht klar, sondern belegt und erstickt. Ich sah, dass sie erneut von Gefühlen übermannt wurde, dennoch aber an ihrer Absicht festhielt. Ich wagte es, sie zu fragen: «Und wenn Sie Gott bitten würden, Sie von Ihrem Gelübde freizusprechen, Mama?»
«Nein, das werde ich nicht tun. Wo denkst du hin, Bentinho? Wie sollte ich denn erfahren, dass Gott mich davon freigesprochen hat?»
«Vielleicht über einen Traum; ich träume oft von Engeln und Heiligen.»
«Ich auch, mein Junge; aber es hilft nicht s … Lass uns gehen, es ist schon spät; gehen wir ins Wohnzimmer. Es gilt also: Nächsten Januar oder Februar trittst du ins Seminar ein. Ich möchte, dass du ordentlich lernst. Das ist nicht nur für dich gut, sondern auch für Pater Cabral. Im Seminar sind sie schon gespannt darauf, dich kennenzulernen, weil Pater Cabral immer so begeistert von dir erzählt.»
Sie ging zur Tür. Ehe sie jedoch das Zimmer verließ, wandte sie sich noch einmal zu mir um, und ich erkannte, dass sie versucht war, mich in ihre Arme zu schließen und mir zu sagen, dass ich doch nicht Priester werden würde. In ihrem Herzen wünschte sie sich das bereits, weil der Zeitpunkt immer näher rückte. Sie sehnte sich nach einem anderen Weg, die Schuld zu begleichen, nach einer anderen Währung, die genauso gut oder besser wäre, aber sie fand keine.
42
Capitu überlegt
Am nächsten Tag ging ich, sobald mir dies möglich war, ins Nachbarhaus. Capitu verabschiedete sich gerade von zwei Freundinnen, die sie besucht hatten – Paula und Sancha, zwei Schulkameradinnen, die eine fünfzehn, die andere siebzehn, erstere Arzttochter, die andere Kind eines Kaufmanns, der mit amerikanischen Waren handelte. Sie wirkte niedergeschlagen und hatte sich ein Tuch umgebunden. Ihre Mutter erzählte mir, sie habe am Vortag zu lange gelesen, vor und nach dem Tee, im Wohnzimmer und im Bett mit der Öllampe, bis weit nach Mitternach t …
«Wenn ich eine Kerze angemacht hätte, wäre Mama böse geworden. Mir geht es schon wieder gut.»
Als sie ihr Tuch löste, sagte die Mutter vorsichtig, es sei besser, es noch eine Weile zu tragen, doch Capitu antwortete, das sei nicht nötig, es gehe ihr gut.
Wir blieben allein im Wohnzimmer zurück. Capitu bestätigte mir die Worte der Mutter und fügte hinzu, ihr Unwohlsein rühre wohl auch von dem bei mir Gehörten her. Ich erzählte ihr, wie es mir ergangen war, und berichtete von dem Gespräch mit meiner Mutter, von meinen Bitten, ihren Tränen und schließlich der letzten, entschiedenen Antwort: dass ich in zwei bis drei Monaten ins Seminar eintreten würde. Was sollten wir nun tun? Capitu lauschte mir zunächst mit begieriger, später mit düsterer Aufmerksamkeit; als ich geendet hatte, atmete sie schwer, wie wenn sie gleich einen Wutanfall bekäme. Doch sie beherrschte sich.
Das alles geschah vor so langer Zeit, dass ich heute nicht mehr mit Gewissheit sagen kann, ob sie auch weinte oder sich nur die Augen wischte; ich glaube, sie wischte sie sich nur. Als ich dies sah, nahm ich ihre Hand, um
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