Dom Casmurro
sie, wählte das Mobiliar aus, eine Kutsche und einen Hausaltar. Ja, wir würden einen schönen, hohen Altar aus Palisanderholz mit dem Bild der Heiligen Jungfrau haben. Diesen beschrieb ich ihr ausführlicher als den Rest, teils, weil wir religiös waren, teils, weil ich einen Ausgleich schaffen wollte für die Soutane, die ich nun an den Nagel hängte. Es gab aber noch einen anderen Teil, nämlich meinen geheimen, unbewussten Impuls, den Schutz des Himmels zu suchen. Samstags würden wir immer eine Kerze anzünde n …
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Eine Zwischenlösung
Ein paar Monate später trat ich ins Priesterseminar von São José ein. Könnte ich die Tränen zählen, die ich am Vortag und an besagtem Morgen weinte, so wären es sicher mehr als alle Tränen, die seit Adam und Eva vergossen wurden. Das ist natürlich etwas übertrieben, aber gelegentlich muss ich auch einmal emphatisch werden, um diesen Zwang zur Exaktheit, unter dem ich leide, auszugleichen. Was meine Erinnerung an dieses Gefühl anbelangt, bin ich von der Wahrheit nicht weit entfernt; mit fünfzehn ist alles grenzenlos. In der Tat litt ich unendlich, so sehr ich auch darauf vorbereitet war. Meine Mutter litt ebenfalls, mit Herz und Seele. Im Übrigen hatte Pater Cabral eine Zwischenlösung gefunden: Ich sollte meine Berufung erproben. Zeigte sich nach zwei Jahren noch immer keine Berufung zum Priesteramt, würde ich eine andere Laufbahn einschlagen.
«Gelübde müssen nach Gottes Wünschen erfüllt werden. Angenommen, unser Herrgott verweigert Ihrem Sohn diese Veranlagung, und das Seminarleben sagt ihm nicht so zu wie damals mir, dann ist Gottes Wille ein anderer. Sie können Ihrem Sohn nicht schon vor der Geburt eine Berufung zuteilen, die unser Herrgott ihm verweigert ha t …»
Das war ein Zugeständnis des Pfarrers. Er versprach meiner Mutter jetzt schon die Vergebung, indem er den Erlass der Schuld seitens des Gläubigers in Aussicht stellte. Ihre Augen strahlten, doch ihr Mund sagte nein. José Dias, der es nicht geschafft hatte, unsere gemeinsame Reise nach Europa durchzusetzen, klammerte sich nun an das Nächste und unterstützte den «Vorschlag des Herrn Protonotars»; nur schien ihm ein Jahr bereits genug zu sein.
«Ich bin mir sicher», sagte er mit einem Augenzwinkern in meine Richtung, «dass sich die geistliche Berufung unseres Bentinho in einem Jahr klar und deutlich zeigen wird. Er wird ein hervorragender Priester werden. Aber wenn sie in diesem Jahr nicht zutage trit t …»
Und zu mir sagte er später, als wir allein waren: «Geh für ein Jahr; ein Jahr geht schnell vorüber. Wenn du keinen Gefallen daran findest, dann liegt es daran, dass Gott es nicht will, wie der Pater sagt, und in diesem Fall, mein lieber Freund, ist Europa die beste Lösung.»
Capitu riet mir dasselbe, als meine Mutter ihr meinen endgültigen Eintritt ins Seminar mitteilte: «Mein Kind, du wirst deinen Freund aus Kindertagen verliere n …»
Es tat ihr so gut, mit «mein Kind» angesprochen zu werden (es war das erste Mal, dass meine Mutter sie so nannte), dass sie gar keine Zeit fand, traurig zu werden. Sie küsste meiner Mutter die Hand und sagte, sie wisse es bereits von mir. Mich ermunterte sie, alles geduldig zu ertragen; in einem Jahr sei alles anders, und ein Jahr vergehe schnell. Das war jedoch noch nicht unser Abschied, denn der erfolgte am Vorabend der Abreise auf eine besondere Weise, die ein eigenes Kapitel erfordert. An dieser Stelle sei nur noch gesagt, dass Capitu, je näher wir beide uns kamen, sich auch zunehmend zu meiner Mutter hingezogen fühlte. Sie zeigte sich noch fürsorglicher und liebevoller, wich nicht von ihrer Seite und war stets aufmerksam. Meine Mutter hatte ein sehr freundliches und sensibles Wesen, sie konnte über etwas traurig sein, sich aber auch sehr freuen. Auf einmal entdeckte sie lauter neue Eigenschaften an Capitu, feine und seltene Gaben. Sie schenkte ihr einen ihrer Ringe und ein paar weitere Kleinigkeiten. Zwar ließ sie sich nicht fotografieren, wie Capitu, die sich ein Bild von ihr wünschte, es vorgeschlagen hatte, doch nach kurzem Zögern schenkte sie dem Mädchen eine Miniatur, die im Alter von fünfundzwanzig Jahren von ihr gemacht worden war. Die Augen, mit denen Capitu diese Belohnung entgegennahm, waren unbeschreiblich. Sie waren nicht listig und auch nicht wie das wogende Meer, sondern aufrichtig, klar und hell. Sie küsste das Bild voll Liebe, und meine Mutter tat dasselbe mit ihr. Das alles lässt mich an unseren
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