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Dom Casmurro

Dom Casmurro

Titel: Dom Casmurro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joaquim Maria Machado de Assis
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Hässliche liebt, dem erscheint es schön.» Capitu verfügte über ein halbes Dutzend einzigartiger Gesten. Diese berührte mich besonders, was erklärt, warum ich zu meiner Gattin und Freundin lief und ihr Gesicht mit Küssen bedeckte. Doch das ist für das Verständnis des vorherigen und auch der zukünftigen Kapitel nicht unbedingt vonnöten; bleiben wir also bei Ezequiels Augen.
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    Die Skizze und die Farbe
    Nicht nur Ezequiels Augen, auch die übrigen Züge, der Körper, der ganze Mensch bildeten sich nach und nach heraus. Er erinnerte an eine primitive Skizze, die der Künstler nach und nach verfeinert und mit Farben versieht, wodurch der Abgebildete zu schauen, zu lächeln, zu atmen, fast schon zu sprechen beginnt, bis die Familie sein Bild zur Erinnerung an das, was einmal war und nicht mehr sein kann, aufhängt. In meinem Fall konnte es noch sein, und es geschah auch. Die Gewohnheit vermochte viel gegen die Wirkung der Veränderung; doch die Veränderung vollzog sich nicht wie im Theater, sondern wie der Morgen, der langsam anbricht, bis man die Botschaft lesen kann. Dann liest man sie auf der Straße, zu Hause, im Arbeitszimmer, bei geschlossenen Fenstern, und das durch die Fensterläden dringende Licht genügt zum Unterscheiden der Buchstaben. Ich las die Botschaft, anfangs schlecht und auch nicht ganz, dann aufmerksamer. Ich wollte sie nicht wahrhaben, das stimmt, deshalb verwahrte ich sie in meiner Tasche, lief nach Hause, schloss mich ein, öffnete nicht die Fenster, schloss gar die Augen. Als ich sie wieder aufmachte und die Botschaft erneut betrachtete, standen die Buchstaben deutlich und ihr Sinn überdeutlich vor meinen Augen.
    Escobar war aus dem Grab, dem Seminar und seinem Haus in Flamengo auferstanden, um sich mit mir an den Tisch zu setzen, mich oben an der Treppe zu empfangen, mich morgens im Arbeitszimmer zu küssen oder mich abends um den gewohnten Segen zu bitten. All dies war mir zuwider. Ich duldete es nur, um mir vor der Welt und mir selbst keine Blöße zu geben. Doch was ich vor der Welt geheim zu halten vermochte, konnte ich nicht vor mir selbst verbergen, schließlich lebte ich mit mir am engsten zusammen. Wenn ich weder Mutter noch Sohn um mich hatte, war meine Verzweiflung groß, und ich schwor mir, sie beide zu töten, auf der Stelle oder auch langsam, damit sie im Sterben jene Minuten nachempfinden konnten, die ich in Düsternis und Agonie verbracht hatte. Wenn ich jedoch nach Hause zurückkehrte und oben auf der Treppe dieses kleine Wesen sah, das mich liebte und sehnsüchtig erwartete, war ich entwaffnet und verschob die Bestrafung von einem Tag auf den nächsten.
    Was zwischen mir und Capitu an jenen düsteren Tagen passierte, werde ich nicht erzählen, weil es zu weit führen würde. Außerdem ist es schon zu spät, um es ohne Fehler und Mühe niederzuschreiben. Ich werde hier nur das Wesentliche erzählen. Das Wesentliche ist, dass es zwischen uns nun regelmäßig zu heftigen Stürmen kam. Bevor ich meine schlimme Entdeckung machte, hatten diese nie lange angedauert. Kurz darauf war der Himmel wieder blau gewesen, die Sonne hell und das Meer, in dem wir erneut unsere Segel setzten und zu den schönsten Inseln und Küsten des Universums aufbrachen, ruhig. Doch dann zerstörte eine neuerliche Bö wieder alles, und wir trieben hilflos im Meer, hofften auf eine Beruhigung des Meeres, die nicht zu spät käme und auch nicht trügerisch wäre, sondern beständig und verlässlich.
    Erlaubt mir diese Metaphern; sie riechen nach Meer und nach den Fluten, die meinem Freund Escobar, dem Geliebten meiner Frau, das Leben raubten. Sie riechen auch nach Capitus Augen wie das wogende Meer, weshalb ich diesen Teil meines Lebens, obwohl ich immer ein Landmensch war, wie ein Matrose erzähle, der von seinem Schiffbruch berichtet.
    Es fehlte nur noch das letzte Wort zwischen uns, doch wir konnten es bereits klar und deutlich in den Augen des anderen ablesen, und jedes Mal, wenn wir Ezequiel sahen, brachte er uns unweigerlich auseinander. Capitu schlug vor, ihn unter der Woche in ein Internat zu geben, aus dem er erst samstags nach Hause käme. Dem Jungen fiel es sehr schwer, diese Situation hinzunehmen.
    «Ich will mit Papa gehen! Papa soll mit mir dorthin gehen!», brüllte er.
    Also brachte ich ihn eines Montagmorgens persönlich dorthin. Das Internat lag am ehemaligen Largo da Lapa 79 , unweit von unserem Haus. Wir gingen zu Fuß, und ich hielt ihn an der Hand wie damals den Ring des

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