Dom Casmurro
Sarges, in dem der andere lag. Der Kleine weinte die ganze Zeit und stellte unentwegt Fragen, ob und wann er wieder nach Hause käme und ob ich ihn besuchen würde.
«Ja, ich komme dich besuchen.»
«Du kommst bestimmt nicht, Papa.»
«Doch, ich komme.»
«Schwöre es, Papa!»
«Ja, ich komme.»
«Du hast nicht gesagt, dass du schwörst, Papa.»
«Dann schwöre ich es eben.»
Ich brachte ihn hin und ließ ihn dort. Die zeitweilige Abwesenheit des Jungen beseitigte das Übel nicht, und Capitus sämtliche Bemühungen, es wenigstens abzumildern, halfen nichts. Ich fühlte mich nur noch elender. Es war die neue Situation selbst, die meine Obsession verschlimmerte. Ezequiel lebte nun überwiegend nicht unter meinen Augen, doch wenn er am Wochenende nach Hause kam, war es, als käme ein lebendigerer und lärmenderer Escobar wieder, sei es, weil ich nicht mehr an ihn gewöhnt war, sei es, weil die Ähnlichkeit mit der Zeit immer größer wurde. Selbst seine Stimme schien der anderen zu gleichen. Samstags versuchte ich, nicht zu Hause zu Abend zu essen und erst zurückzukehren, wenn er schon im Bett lag; sonntags jedoch, wenn ich im Arbeitszimmer saß und mich mit den Zeitungen und Akten beschäftigte, entkam ich ihm nicht. Ezequiel stürmte herein, überschwänglich, strahlend und erfüllt von Liebe, denn der kleine Teufel vergötterte mich immer noch. Wenn ich ehrlich bin, war er mir bereits so zuwider, dass ich es weder ihm noch anderen gegenüber verbergen konnte. Daher versuchte ich, ihm so weit wie möglich aus dem Weg zu gehen. Ich gab vor, mich zum Arbeiten einschließen zu müssen, oder trug sonntags mein schlimmes Geheimnis in der Stadt und in den Vororten spazieren.
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Ein Gedanke
Eines Tages – es war ein Freitag – konnte ich nicht mehr. Ein Gedanke, der mir im Kopf herumspukte, breitete die Flügel aus und begann damit zu schlagen, wie es Gedanken, die hinauswollen, zu tun pflegen. Dass es ein Freitag war, war wohl Zufall, vielleicht aber auch nicht. Ich wurde nämlich dazu erzogen, diesen Tag zu fürchten. Denn zu Hause hörte ich immer die Balladen vom Land und aus der alten Hauptstadt 80 , in denen der Freitag stets der Unglückstag war. Da es jedoch im Gehirn keine Kalender gibt, schlug der Gedanke vermutlich nur deshalb mit den Flügeln, weil er hinaus in die Lüfte und ins Leben wollte. Das Leben ist so schön, dass selbst der Todesgedanke zunächst dort hinausmuss, ehe er in die Tat umgesetzt werden kann. Du wirst mich schon noch verstehen, lies nun das nächste Kapitel.
134
Der Samstag
Schließlich brach sich der Gedanke Bahn. Es war Nacht, und ich konnte nicht schlafen, so sehr ich ihn auch abzuschütteln suchte. Gleichzeitig erschien mir die Nacht kürzer denn je. Als ich dachte, es seien nicht mehr als ein, zwei Stunden vergangen, wurde es bereits hell. Ich verließ das Haus, in der Annahme, den Gedanken zu Hause gelassen zu haben; doch er kam mit. Draußen hatte er dieselbe düstere Farbe, ich spürte dieselben flatternden Flügel, doch obwohl er damit schlug, flog er nicht davon. Ich trug ihn unter der Netzhaut, nicht so, dass er die äußeren Dinge verdeckte, ich sah vielmehr durch ihn hindurch. Die Farben waren blasser als sonst und weniger beständig.
An den Rest des Tages erinnere ich mich nicht mehr. Ich weiß, dass ich ein paar Briefe schrieb und eine Substanz kaufte, deren Namen ich nicht nennen werde, um nicht das Verlangen zu wecken, sie zu kosten. Die Apotheke ist ohnehin eingegangen, ihr Besitzer ist Bankier geworden, und die Bank floriert. Als ich schließlich den Tod in der Manteltasche trug, empfand ich eine Freude, als hätte ich gerade das große Los gezogen, oder sogar ein noch größeres, denn ein Lotteriegewinn wird ausgegeben, der Tod hingegen bleibt bestehen. Ich ging zu meiner Mutter, um mich zu verabschieden, tat aber so, als würde ich sie nur besuchen. Vielleicht war es ja nur Einbildung, aber alles erschien mir an diesem Tag schöner, meine Mutter war weniger traurig, Onkel Cosme hatte keine Herzprobleme und Base Justina lästerte nicht. Ich verbrachte eine friedliche Stunde dort. Fast wollte ich mein Vorhaben aufgeben. Was brauchte ich mehr zum Leben? Ich dürfte nur dieses Haus nie mehr verlassen oder müsste diese Stunde für immer festhalte n …
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Othello
Ich aß auswärts zu Abend. Danach ging ich ins Theater. Es wurde ausgerechnet «Othello» gegeben, ein Stück, das ich nie gesehen oder gelesen hatte. Ich wusste nur, worum es ging, und war
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