Dom Casmurro
falls du schon damit angefangen hast, die Lektüre hier abzubrechen. Klappe es einfach zu oder verbrenne es besser, damit du gar nicht erst in Versuchung kommst, es wieder aufzuschlagen. Solltest du es jedoch trotz dieses Ratschlages zu Ende lesen wollen, ist es deine Schuld; ich bin dann nicht verantwortlich für das Leid, das dir widerfährt. Das Leid, das ich dir zugefügt habe, indem ich von den Gesten und Blicken jenes Samstags erzählte, ist bereits vergessen, zumal die Ereignisse und auch ich selbst meine Illusionen Lügen straften. Doch was nun auf dich zukommt, lässt sich nicht mehr auslöschen. Nein, meine Freundin, lies nicht weiter. Werde alt ohne Ehemann und Tochter, ich mache es ebenso, und das ist noch das Beste, was wir im fortgeschrittenen Alter tun können. Irgendwann werden wir an die Himmelspforte treten und uns wiedersehen, verjüngt wie frische Pflänzchen,
come piante novelle,
Rinovellate di novelle fronde. 78
Der Rest ist bei Dante nachzulesen.
130
Eines Tage s …
Eines Tages wollte Capitu wissen, was mich so schweigsam und übellaunig machte. Sie schlug mir vor, eine Reise nach Europa, Minas Gerais oder Petrópolis zu unternehmen oder ein paar Bälle zu besuchen – all diese tausend Heilmittel, die man Melancholikern anrät. Ich wusste nicht, was ich ihr antworten sollte, lehnte die Zerstreuungen jedoch ab. Da sie nicht lockerließ, antwortete ich ihr, meine Geschäfte liefen schlecht. Capitu lächelte aufmunternd. Was mache es schon, dass sie schlecht liefen? Irgendwann würden sie wieder besser laufen, und bis dahin könnten wir ja die Edelsteine und ein paar Wertgegenstände verkaufen und in einer kleinen Gasse wohnen. Wir würden ruhig und zurückgezogen leben, bis wir wieder Oberwasser gewonnen hätten. Die Zärtlichkeit, mit der sie mir dies sagte, hätte Steine erweichen können. Doch mich rührte sie nicht. Ich antwortete ihr schroff, es sei nicht nötig, etwas zu verkaufen, und blieb weiterhin schweigsam und mürrisch. Sie schlug mir vor, Karten oder Dame zu spielen, spazieren zu gehen, einen Besuch in der Rua de Matacavalos zu machen, doch da ich auf nichts einging, kehrte sie ins Wohnzimmer zurück, klappte das Klavier auf und begann zu spielen. Ich nutzte die Gelegenheit, um nach meinem Hut zu greifen und das Haus zu verlassen.
… Verzeihung, diesem Kapitel hätte ein anderes vorausgehen müssen, das einen Vorfall beschreibt, der sich wenige Wochen zuvor ereignete, zwei Monate nach Sanchas Abreise. Ich werde es gleich niederschreiben. Zwar könnte ich es diesem noch voranstellen, ehe das Buch in Druck geht, doch die Paginierung zu ändern, ist nicht so einfach. Daher bleibt alles so, und danach wird die Erzählung geradlinig zu Ende geführt. Es ist ohnehin kurz.
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Vor dem Vorherigen
Mein Leben war wieder heiter und ruhig geworden, und meine Arbeit als Anwalt zahlte sich aus. Capitu war noch schöner, und Ezequiel wuchs heran. Das Jahr 1872 brach an.
«Ist dir schon einmal aufgefallen, dass Ezequiel einen merkwürdigen Ausdruck in den Augen hat?», fragte mich Capitu. «Das habe ich bisher nur bei zwei Menschen gesehen, nämlich bei einem Freund von Papa und dem verstorbenen Escobar. Sieh mich an, Ezequiel; sieh mich richtig an, ja, und jetzt schau zu Papa, du brauchst die Augen nicht zu verdrehen, so ist es gu t …»
Es war nach dem Abendessen, und wir saßen noch am Tisch. Capitu schäkerte mit ihrem Sohn oder er mit ihr oder beide miteinander, denn eines ist gewiss, sie hatten sich sehr lieb. Gewiss ist aber auch, dass er mich noch lieber hatte.
Ich trat zu Ezequiel und fand, dass Capitu recht hatte: Er hatte Escobars Augen, doch sie erschienen mir deshalb nicht merkwürdig. Schließlich gab es auf der Welt kaum mehr als ein halbes Dutzend verschiedene Augenausdrücke, und daraus ergaben sich selbstverständlich Ähnlichkeiten. Ezequiel verstand gar nichts, sah verblüfft von seiner Mutter zu mir und sprang schließlich auf meinen Schoß.
«Gehen wir spazieren, Papa?»
«Gleich, mein Junge.»
Capitu beachtete uns nicht weiter und starrte nun auf die gegenüberliegende Tischkante, doch als ich ihr sagte, die Schönheit der Augen habe Ezequiel von seiner Mutter, lächelte sie und wiegte ihren Kopf auf eine Art, die ich bei anderen Frauen nie wahrgenommen habe, vermutlich, weil ich keine je so liebte wie sie. Die Menschen sind so viel wert wie die Zuneigung, die wir für sie empfinden, und daraus leitete der Volksmund auch das Sprichwort ab: «Wer das
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