Domain
umherschweifen. Für einige von ihnen war dies ein uneinnehmbarer Bunker, mit Essensvorräten, die bis zum Eintreffen der Rettungsmannschaften ausreichen würden, und für diese Gruppe spielte der ebenfalls reichlich vorhandene Alkohol eine teils tröstende, teils ermutigende Rolle; für die Pessimisten allerdings war der unter Schuttmassen begrabene Raum ein Gefängnis, aus dem es kein Entrinnen geben würde.
Die Menschen gewöhnten sich an ein bescheidenes Leben.
Sie halfen den Verletzten, soweit es in ihren Möglichkeiten stand, und sie betreuten die Sterbenden. Sie wickelten die Toten in Tischtücher ein und trugen sie in die Bar, deren Alkoholvorräte ausgeräumt und in den Saal geschafft worden waren. Die Doppeltüren der Bar wurden jeweils dicht versiegelt. Man fasste den Entschluss, mit dem Graben eines Fluchttunnels zwei bis drei Wochen zu warten, denn erst nach dieser Zeit würde die Radioaktivität an der Oberfläche abgeflaut sein. Die Menschen hatten sich vergewissert, dass die Belüftung des Saals immer noch funktionierte. Die Kerzen brannten, und nicht selten wurde die Flamme von einem Lufthauch bewegt. Als Wasser von der Decke zu tröpfeln begann, war das für die Eingeschlossenen ein Hinweis darauf, dass es in der Oberwelt regnete, und zugleich die Bestätigung, dass es in den Schuttmassen Hohlräume gab, die zu einem Ausgang erweitert werden konnten.
So warteten sie in der neubegründeten Gemeinschaft, wo Titel und Reichtum keine Rolle mehr spielten. Sie hatten ein gemeinsames Ziel: Überleben. Nach und nach entstand ein Zusammengehörigkeitsgefühl, das die sozialen und dann auch die moralischen Schranken bedeutungslos machte. Aber dann kamen die Krankheiten. Die Menschen vergifteten sich an verdorbenen Nahrungsmitteln oder am Alkohol, den einige von ihnen in großen Mengen tranken. Sie litten an Wundfieber.
Vier von ihnen verübten Selbstmord. Als drei Wochen vergangen waren, ohne dass eine Rettungsmannschaft zu den Eingeschlossenen vorgedrungen wäre, breitete sich lähmende Angst aus. Nach vier Wochen zeichnete sich ab, dass die Vorräte, obwohl sie streng rationiert worden waren, nur noch wenige Tage reichen würden. Das eingedrungene Wasser bedeckte jetzt den ganzen Fußboden des Saales. Die Menschen beschlossen, einen Tunnel zu graben.
Jene, die noch genügend Kraft hatten, bewaffneten sich mit dem Werkzeug, das sie zum Graben benutzen würden, unter anderem mit Tischbeinen und Tranchiermessern sowie mit Schöpflöffeln, die einst zum Servieren von Suppe gedient hatten. In unermüdlicher Arbeit gelang es ihnen, einen Durchschlupf durch die aufgehäuften Schuttmassen zu schaffen. Es war ein Kellner, der an der Spitze der Gruppe schuftete.
Als er ein merkwürdiges Geräusch hörte, ließ er das Messer sinken. Er lauschte ins Dunkel hinein. Nichts. Ob er einer Sinnestäuschung erlegen war? Er grub weiter. Wieder das Geräusch. Es schien von oben zu kommen.
Er rief den anderen zu, sich ruhig zu verhalten. Es war ein kratzender, schürfender Ton, der den Tunnel erfüllte und nur einen Schluss zuließ: Eine Rettungsmannschaft befand sich im Hotel – Helfer, die einen Tunnel nach unten trieben.
Er stieß einen Freudenschrei aus, und dann versuchte er, die Retter mit Rufen zu verständigen. Sie gaben keine Antwort.
Nur das kratzende Geräusch war zu vernehmen.
Er hievte den Stein weg, der den Durchgang versperrte. Das Geräusch erstarb.
Er starrte auf die entstandene Lücke. Im Schein der Kerze war ein zersplitterter Balken zu erkennen. Als das Holz barst, begann der Mann zu schreien.
Die Klaue eines Tieres erschien in der Öffnung und erweiterte den Spalt. Die spitze Schnauze der Bestie stieß nach unten. In den gelben Augen der Ratte funkelte rasende Bosheit, es war ein Anblick, wie der Kellner ihn noch nie erlebt hatte.
Und dann spürte er, wie sich die Zähne des Tieres in sein Gesicht gruben.
Der Instinkt und der feinentwickelte Geruchssinn hatte den Ratten gesagt, dass sich Menschen dort unten befanden. Die Geräusche, die beim Graben des Tunnels verursacht wurden, hatten ihnen den Weg gewiesen.
Sie schlüpften durch den Spalt und stürzten sich in die Tiefe.
Sie fraßen sich durch den Mann, der im Schacht feststeckte.
Ihre Blutgier feierte Orgien. Sie verschlangen das lebende Fleisch, das ihnen den Weg in die Tiefe versperrte, und dann drangen sie in großer Zahl in den Saal vor, wo die Menschen warteten.
Als die schwarzen Horden aus dem Loch hervorgestürzt kamen,
Weitere Kostenlose Bücher