Don Camillo und seine Herde
vielleicht gestorben wäre, weil sie schon damals so alt wie Methusalem war, als sie Peppone verlassen hatte, um dem jüngeren Sohn zu folgen.
«Über sechsundachtzig Jahre, Hochwürden», erzählte die Alte. «Ich habe nicht mehr lange zu leben, und darum wollte ich noch einmal das alte Haus sehen, bevor ich die Augen für immer schließe. Ich bin schon eine ganze Woche da, und ich wäre bestimmt zu Ihnen gekommen, man behandelt mich aber hier wie ein dreijähriges Kind und will nicht, daß ich allein das Haus verlasse. Und da hab ich mir gedacht, daß Sie ohnedies wegen der Haussegnung vor Ostern kommen werden. Treten Sie nur ein, Hochwürden!»
Don Camillo drückte herum.
«Schon... Natürlich», murmelte er. «Ich sagte gerade zu Ihrer Schwiegertochter...»
Peppones gebieterische Stimme unterbrach ihn.
«Guten Abend, Hochwürden! Na, was sagen Sie? Ist mein Mütterlein nicht gut beisammen?»
«Wunderbar!» rief Don Camillo. «Als ob für sie die Jahre überhaupt nicht vergangen wären.»
«Oh, sie vergehen, sie vergehen!» sagte lachend das alte Weiblein. «Ich bin schon krumm wie ein Rebmesser. Wenn ich gehe, muß ich aufpassen, daß ich nicht vornüberfalle! Kommen Sie doch nur herein!»
«Und Giacomino, wie geht es ihm?» fragte Don Camillo.
«Aus Giacomino ist ein wahrhaftiger Giacomone geworden, wie dieser Flegel von seinem Bruder. Er hat seine Werkstatt, und die geht gut. Er hat geheiratet und hat zwei Kinder. Er wollte mich nicht gehenlassen, weil auch er die fixe Idee hat, daß ich einfältig geworden bin, so daß ich nicht einmal die Nase aus dem Haus stecken darf. Ich habe ihm aber schön aufgespielt. habe ich ihm gesagt. Da hat er mich mit dem Auto hergebracht. Er hat ein schönes Taxi und macht auch mit dem ein gutes Geschäft. Kommen Sie doch herein, Hochwürden, hier läßt es sich bequemer plaudern. Es freut mich, gerade in meiner alten Behausung gesegnet zu werden. Nur herein, Hochwürden!»
Don Camillo wischte sich den Schweiß von der Stirn.
«Wie ich schon Ihrer Schwiegertochter sagte, muß ich wirklich ...»
Er unterbrach sich, weil er unerwartet und blitzartig - wie eine Garbe aus einer Maschinenpistole - einen Tritt mit dem Absatz am linken Knöchel erhielt. Als er aufschaute, begegnete er Peppones Augen.
Noch nie hatte Don Camillo zwei solche Augen gesehen. Diese beiden Augen sprachen mit furchterregender Klarheit: «Passen Sie auf, was Sie reden - oder ich schlage Ihnen mit diesem Hammer den Schädel ein!»
Tatsächlich umklammerte Peppones rechte Hand einen großen schweren Hammer. Merkwürdig aber war, daß diese Hand zitterte.
Man weiß nicht, ob dieser feste Blick oder diese zitternde Hand Don Camillo mehr aufregten. Tatsache ist, daß er aus der Tasche ein weißgelbes Tuch hervorholte und sich nochmals den Schweiß von der Stirn wischte.
«Was wollte ich nur sagen?» meinte Don Camillo, wie um Zeit zu gewinnen. «Ich bin so lange in der Sonne herumgegangen und bin jetzt ganz benommen.»
«Sie sagten, daß Sie, wie Sie meiner Schwiegertochter erklärt haben, nicht können», kam ihm die Alte zu Hilfe.
«Ach ja», rief Don Camillo. «Wie ich Ihrer Schwiegertochter schon sagte, kann ich nicht hereinkommen, wegen... wegen... des Rundganges.»
«Rundgang? Was soll das sein?» fragte die Alte verwundert.
«Rundgang, im Sinne einer gewissen Ordnung, die man dabei einhalten muß. Es gibt so eine Reihenfolge, zuerst das Haus und dann jenes und dann wieder eines und so weiter. Ja, das geht nach Hausnummern, damit es keine Eifersucht gibt, wenn der Priester zuerst dem einen und erst später dem andern das Haus segnen geht. Ist das klar?»
«Richtig», stimmte das alte Weiblein bei. «Wir sind also noch nicht an der Reihe?»
Einer von den beiden kleinen Ministranten, der sich genähert und die letzten Worte gehört hatte, mischte sich ein.
«Ja, Hochwürden, jetzt ist gerade dieses Haus an der Reihe, mit allen andern sind wir schon fertig.»
Don Camillo hatte Hände, breit wie Schaufeln und dick wie Ziegel; da er aber aus bekannten Gründen von Zeit zu Zeit seine Ministranten mit diesen Händen behandeln mußte, war er gezwungen, die sogenannte «Streichtechnik» der Züchtigung anzuwenden, die darin besteht, daß die Hand nicht auf den Betroffenen schlägt, sondern darüberstreicht. Die
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