Don Camillo und seine Herde
sind aber meine armseligen Worte, die sich in der Luft auflösen, während die Taten bleiben. Und die Buben glauben mehr an eure Gewalttaten als an meine Worte der Güte.»
Peppone ging zur Tür.
«Peppone», sagte Don Camillo. «Der Nachbar wirft das Unkraut auf dein Feld, und du wirfst es auf das Feld deines Nachbarn. Und zum Schluß erstickt dein Getreide und das Getreide deines Nachbarn, weil ihr euch beide nicht darum kümmert, das f Unkraut auszujäten, sondern es einander auf das Feld werft, als f ob das Unheil des Nächsten euer eigenes Heil wäre. Aber es ist I Unheil für alle.»
Der Kleinkrieg setzte sich fort, übertrug sich von einem Damm zum andern und ließ sich schwerlich übersehen. Es schien nur so, als ob er nicht bestünde. Eines Tages aber ertönte ein Schreckensruf in der Gegend.
Eine Meute verrückter Buben schoß plötzlich wie aus der Erde empor, lief schreiend durch die Straßen und über den Platz und zerstreute sich in Gäßchen und Haustoren. Nur ein Wort blieb in der ruhigen Luft dieses Herbstnachmittags hängen: die Kiesgrube.
Die Kiesgrube war eine Art Felsenhöhle, einen halben Kilometer vom Dorf entfernt. Ein großes Loch in den Feldern, umgeben von einem dichten Ring aus Gebüsch. Die Leute hörten dieses Wort und spürten den Schrecken, der in diesem Schrei steckte, und alle liefen zur Kiesgrube.
Als Peppone kam, machten ihm die Leute den Weg frei, und Peppone erblickte seinen Buben, das Gesicht voll Blut, wie tot, auf einem Schotterhaufen ausgestreckt. Er trug ihn auf den Armen nach Hause, und alle Leute folgten ihm. Als der Arzt sagte, daß ein großer Stein dem Buben den Schädel verletzt habe und die Sache ernst sei, verließ Peppone das Haus und war blaß wie einer, der im Begriff ist zu morden.
Er nahm sich ein Häuflein Buben vor und erfuhr, was er bereits dachte: Es war Scartinis Junge gewesen.
Diesmal würde Peppone auf dem Damm nicht stehenbleiben; er würde weitergehen. Niemand würde ihn aufhalten können. Er ging durch die Felder und kümmerte sich nicht mehr um Don Camillos Unkraut. Scartini sollte für seinen Sohn bezahlen. Er hatte begonnen, er hatte den Samen gestreut, der sich vermehrt hatte.
Peppone ging vorwärts, und sein Schritt war unerbittlich. Als er den Hochspannungsmast sah, spürte er keine Unruhe. Seine Sache war klar, wie drei mal drei neun ist.
Scartinis Haus lag am Fuß der kleinen Steigung, die zum Damm hinaufführte. Auf dem Damm stand ein riesiger Hochspannungsmast aus Eisenkonstruktion. Ein ebensolcher war auch auf der anderen Seite des Flusses, der sich hier in seiner ganzen Breite ausdehnte. Die beiden riesigen Maste trugen die Hochspannungsleitung über die weite Wasserfläche.
Man konnte sich nicht irren; wenn man zum Haus der Scartini kommen wollte, hatte man sich doch nur nach dem Leitungsmast zu richten.
Das gelbe Haus erschien plötzlich auf zwanzig Meter Entfernung, auch jetzt blieb Peppone unerschütterlich.
Er ging über die kleine Brücke und betrat den Hof, Scartini war aber nicht da. Der Hof war leer; er hörte Stimmen hinter dem Damm und stieg hinauf. Jenseits des Dammes befand sich eine Gruppe von Menschen, und Peppone suchte Scartini unter ihnen.
Eine Alte trat an ihn heran.
«Mein Gott, mein Gott», jammerte sic. «Ich hätte niemals geglaubt, so etwas Furchtbares erleben zu müssen.»
«Was ist los?» fragte Peppone geistesabwesend und suchte weiter nach Scartinis Gesicht.
«Der Bub, der kleine Scartini... der Achtjährige... Er hat einem andern Jungen einen Stein auf den Kopf geschmissen... Umgebracht hat er ihn, sagt man... Und nun hat er vor Angst den Kopf verloren. Schauen Sie nur, jetzt ist er dort...! Jesus Maria!»
Peppone hob die Augen, und dort oben, sich an eine Querstange eines hohen Leitungsmastes klammernd, war der Bub. Und er war schon mehr als die Hälfte des riesigen Hochspannungsmastes hinaufgeklettert. Und er schaute hinunter und seine Angst war so groß, daß man sie spürte, obwohl man seine Augen nicht sah.
Alle Leute waren am Fuß des Dammes zurückgetreten. Neben dem großen Zementsockel des Mastes stand Scartini, schaute hinauf und brüllte:
«Mario, komm herunter, niemand tut dir etwas zuleide... Mario, fürchte dich nicht, wenn du nicht selbst herunterkannst, komm ich dich holen...»
Jedesmal aber, wenn der Vater einen Schritt vorwärts machte, begann der Bub weiterzusteigen. Und der Vater trat jedesmal zurück und rief ihm zu:
«Mario, bleib dort... Steig nicht weiter... Ich
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