Don Camillo und seine Herde
eine Weile schweigend zu Boden.
«Was soll ich Ihnen sagen», murmelte er schließlich. «Im Grunde genommen war es wie eine Rückkehr in die Jugendzeit. Ich kam mir dreißig Jahre jünger vor...»
«Das ist wahr», seufzte auch Don Camillo. «Diese Rothaut hat einen Hauch aus unserer Jugendzeit daher gebracht...»
Peppone begehrte auf.
«Beruhige dich, Peppone», riet ihm Don Camillo. «Du darfst deine Stellung als Bürgermeister nicht kompromittieren.»
Peppone ging mit vorsichtigen Schritten nach Hause, und Don Camillo begab sich zur Berichterstattung an Christus in die Kirche.
«Jesus», erklärte Don Camillo, «konnte ich denn anders handeln? Hätte ich gesagt, daß das Gewehr ungeladen sei, hätte Peppone diese unglückselige Rothaut in Fetzen gerissen, ohne daß es ihm gelungen wäre, sie zu zwingen, das Rizinusöl einzunehmen, weil diese Camoni alle einen Kopf wie aus Stein haben. So hat aber der Indianer ohne jede Gewaltanwendung sein Öl hinuntergeschluckt und dadurch eine Geste vollbracht, von der ich hoffe, daß Du sie richtig zu würdigen geruhen wirst. Ich habe meinen persönlichen Stolz geopfert und dadurch Peppone eine Erniedrigung erspart.»
«Don Camillo», erwiderte Christus. «Als die Rothaut Peppone befohlen hatte, das Öl zu trinken, wußtest du, daß das Gewehr ungeladen war, und konntest daher einschreiten.»
«Jesus», seufzte Don Camillo und breitete die Arme aus. «Wenn aber Peppone bemerkt hätte, daß das Gewehr nicht geladen war, und das Öl nicht getrunken hätte?»
«Don Camillo», antwortete streng Christus, «du würdest es verdienen, daß auch dich jemand zwingt, ein großes Glas Rizinusöl zu trinken!»
Es schien, als ob Don Camillo beim Verlassen der Kirche murmelte, daß ein faschistischer Millionär so denken würde. Das ist aber nicht sicher. Sicher ist nur, daß Don Camillo in der Kanzlei neben dem Jagdgewehr auch den Federkopfschmuck der Rothaut wie eine Jagdtrophäe an die Wand hängte. Und jedesmal, wenn er sie betrachtete, dachte er, daß man auch mit einem ungeladenen Gewehr ausgezeichnet jagen könne.
Der Hochspannungsmast
Der neue Lehrer war ein schüchterner junger Mann. Als eines Tages Peppone und die ganze Schar der Gemeinderäte in der zweiten Klasse A erschienen, erbleichte er.
«Setzen Sie nur ruhig den Unterricht fort», sagte Peppone. «Wir sind bloß neugierig, welcher Unterschied zwischen dem Unterricht von heute und der Zeit ist, als wir selbst auf diesen Bänken saßen.»
Das Schulmeisterlein stammelte die unterbrochene Lektion weiter; da es sich um die Anfangsgründe der Geographie handelte, fand Peppone, daß es im wesentlichen nichts anderes war als zu seiner Zeit, und war darüber befriedigt.
«Sehr schön», rief Peppone zum Schluß. «Jetzt möchte ich mit Erlaubnis des Herrn Lehrers hören, was diese Buben können.»
Die fünfundzwanzig kleinen Schüler saßen unbeweglich mit den Händen auf den Rücken und wagten kaum zu atmen. Alle Augen waren auf Peppone gerichtet.
Peppone betrachtete streng den Haufen, dann blieb sein prüfender Blick an der mittleren Reihe der dritten Bank hängen.
«Hören wir uns ein wenig den da an», sagte er und zeigte mit dem Finger auf den Buben links. «Wieviel ist drei mal sechs?»
Der Bub senkte den Kopf und begann mit den Achseln zu zucken, bis der Lehrer eingriff.
«Rasch. Steh auf und sag dem Herrn Bürgermeister, wieviel drei mal sechs ist.»
Der Bub stand auf und antwortete mit noch immer gesenktem Kopf: «Achtzehn.»
«Sehr gut!» sagte Peppone mit Donnerstimme. «Und wieviel ist sechs mal sieben?»
«Zweiunddreißig», antwortete der Bub.
Peppone breitete die Arme aus.
«Na, du siehst mir gut aus!» rief er. «Der Sohn des Bürgermeisters weiß nicht, wieviel sechs mal sieben ist! Ich wette, daß es dein Kamerad besser weiß als du! Sag mir also du, mein Junge, wieviel ist sechs mal sieben?»
Der Bub, der neben Peppones Sohn saß, stand auf, schaute zu Boden, schwieg und rührte sich nicht.
«Rasch, antworte!» mengte sich der Lehrer ein. «Sechs mal sieben?»
Der Bub schüttelte den Kopf.
«Weißt du es nicht?» fragte der Lehrer gereizt.
«Ich weiß es», murmelte der Bub.
«Warum antwortest du dann nicht dem Herrn Bürgermeister?»
«Weil er meinen Papa geschlagen hat», sagte der Bub und schaute weiter zu Boden.
Peppone glaubte, nicht richtig verstanden zu haben.
«Was sagst du da?» stotterte er.
Der Bub stand mit gesenktem Blick da, schaute aber dann Peppone ins
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