Don Juan 01 - Die Lehren des Don Juan. Ein Yaqui-Weg des Wissens
»der erwählt war«. Aber ein escogido zu sein bedeutete mehr, als nur ein Schüler zu sein. Ein escogido wurde durch die bloße Tatsache, von einer Macht auserwählt zu sein, bereits von gewöhnlichen Menschen unterschieden. Er wurde bereits als der Empfänger einer Mindestmenge an Macht betrachtet, von der man annahm, daß sie durch Lernen erweitert wurde.
Aber Lernen war ein Prozeß nie endenden Strebens, und von der Macht, die die ursprüngliche Entscheidung getroffen hatte, oder von einer ähnlichen Macht wurden ähnliche Entscheidungen über die Frage erwartet, ob ein escogido weiterlernen könne oder ob er besiegt worden war. Diese Entscheidungen wurden durch Omen offenbar, die an jedem Punkt der Lehren auftraten. In dieser Hinsicht wurden alle besonderen Umstände, die den Schüler umgaben, als solche Omen betrachtet
Ein Wissender hatte einen unbeugsamen Vorsatz
Der Gedanke, daß ein Wissender einen unbeugsamen Vorsatz brauchte, bezog sich auf die Willensübung Ein unbeugsamer Vorsatz war soviel wie der Wille zur Durchführung einer notwendigen Prozedur, wobei man sich ständig streng innerhalb der Grenzen des vermittelten Wissens zu halten hatte. Ein Wissender brauchte einen entschlossenen Willen, um die Qualität des Obligatorischen zu ertragen, die jeder Handlung innewohnte, wenn sie im Kontext seines Wissens ausgeführt wurde.
Die Qualität des Obligatorischen aller Handlungen, die in einem solchen Kontext ausgeführt wurden, und ihre Starrheit und Vorherbestimmtheit waren zweifellos für jeden Mann unangenehm, und aus diesem Grund wurde von einem zukünftigen Schüler ein Mindestmaß unbeugsamen Vorsatzes als einziges verstecktes Erfordernis verlangt
Ein unbeugsamer Vorsatz setzte sich zusammen aus (1) Zurückhaltung (2) gesundem Urteil und (3) Mangel an Freiheit zu Neuerungen
Ein Wissender brauchte Zurückhaltung, weil die Mehrzahl der dem Zwang unterworfenen Handlungen* ( * obligatory acts; Anm. d Ü. ) mit Fällen oder Elementen zu tun hatte, die entweder außerhalb der Grenzen gewöhnlichen Alltagslebens lagen oder nicht in gewöhnlichen Handlungen vorkamen. Der Mann, der in Übereinstimmung mit ihnen zu handeln hatte, mußte jedesmal wenn er handelte eine außerordentliche Anstrengung aufbringen. Es verstand sich von selbst, daß man zu einer so außerordentlichen Anstrengung nur fähig war, wenn man in jeder anderen Aktivität, die nicht mit solchen vorherbestimmten Handlungen zu tun hatte, Zurückhaltung übte. Da alle Handlungen vorherbestimmt und dem Zwang unterworfen waren, brauchte ein Wissender ein gesundes Urteil. Dieser Begriff schloß nicht gesunden Menschenverstand ein, sehr wohl aber die Fähigkeit, die Umstände einzuschätzen, die jede Notwendigkeit zu handeln umgaben. Ein Wegweiser für eine solche Einschätzung ergab sich, wenn man als Grundprinzipien all die Teile der Lehren zusammenfaßte, die man in jenem gegebenen Augenblick beherrschte, in dem irgendeine Handlung ausgeführt werden mußte. So veränderte sich der Wegweiser ständig, während mehr Teile gelernt wurden; doch schloß er immer die Überzeugung ein, daß jede dem Zwang unterworfene Handlung, die man vielleicht auszuführen gehabt hätte, unter den jeweiligen Umständen immer die angemessenste war. Da alle Handlungen vorherbestimmt und verpflichtend waren, bedeutete der Zwang, sie auszuführen, Mangel an Freiheit zu Neuerungen. Dcn Juans System, Wissen mitzuteilen, war sc gut etabliert, daß es keine Möglichkeit gab, es auf irgendeine Weise zu verändern.
Ein Wissender hatte einen klaren Verstand
Klarer Verstand war der Schwerpunkt, der Sinn für Richtung spendete. Die Tatsache, daß alle Handlungen vorherbestimmt waren, bedeutete, daß die Orientierung innerhalb des vermittelten Wissens gleichfalls vorherbestimmt war; als Konsequenz verlieh ein klarer Verstand nur einen Sinn für Richtung Er bestätigte unaufhörlich die Verläßlichkeit des eingeschlagenen Kurses durch die Gedanken: (1) Freiheit, einen Weg zu suchen, (2) Wissen um die spezifische Absicht und (3) Beweglichkeit 1 , aus denen er sich zusammensetzte.
Es wurde angenommen, daß man die Freiheit hatte, einen Weg zu suchen. Die Freiheit der Wahl stand nicht im Widerspruch zu dem Mangel an Freiheit zu Neuerungen; diese beiden Gedanken waren weder gegensätzlich noch beeinflußten sie einander. Freiheit, einen Weg zu suchen, bezog sich auf die Ungebundenheit, zwischen verschiedenen Möglichkeiten der Handlung zu wählen, die gleich wirksam
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