Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten
mich nicht viel darum, was wir taten. Meine ganze Aufmerksamkeit galt meinem linken Ohr, das ein von meinem übrigen Körper unabhängiges Leben zu führen schien. Irgendein Gefühl in meinem Innern zwang mich, immer wieder stehenzubleiben und mit meinem Ohr die Umgebung abzusuchen. Ich wußte, daß irgend etwas uns folgte. Es war eine schwere Masse; im Voranschreiten zermalmte es kleinere Steine.
Nestor gewann halbwegs die Fassung wieder und konnte allein gehen, wobei er sich hin und wieder an Pablitos Arm festhielt.
Wir erreichten ein kleines Gehölz. Plötzlich hörte ich ein extrem lautes Krachen. Es klang wie das Schnalzen einer gigantischen Peitsche, die auf die Wipfel der Bäume niedersauste. Ich spürte so etwas wie die Wellen eines Bebens über uns.
Pablito und Nestor schrien und stolperten in höchster Eile davon. Ich wollte sie aufhalten. Ich war nicht sicher, ob ich in der Dunkelheit würde laufen können. Aber in diesem Moment hörte und spürte ich mehrere schwere Atemzüge gleich hinter mir. Meine Angst war grenzenlos. Alle drei rannten wir, bis wir das Auto erreichten. Nestor führte uns einen mir unbekannten Weg. Ich glaubte, ich sollte sie bei sich zu Hause absetzen und mir dann in der Stadt ein Hotel suchen. Um keinen Preis der Welt wollte ich zu Don Genaros Haus fahren. Aber weder Nestor noch Pablito und ich trauten uns aus dem Auto. Schließlich kamen wir zu Pablitos Haus. Er schickte Nestor nach Bier und Cola, während seine Mutter und seine Schwestern uns etwas zu essen machten. Nestor fragte im Scherz, ob Pablito ihm nicht seine älteste Schwester als Schutz mitgeben wolle, falls er von Hunden oder Trunkenbolden angefallen würde. Pablito lachte und erzählte mir, daß Nestor ihm als Schützling anvertraut sei. »Wer hat ihn dir anvertraut?« fragte ich. »Die Kraft natürlich!« antwortete er. »Einstmals war Nestor älter als ich, aber dann machte Genaro irgend etwas mit ihm, und jetzt ist er viel jünger. Das hast du doch gesehen, nicht wahr?«
»Was hat Genaro mit ihm gemacht?« fragte ich. »Weißt du, er hat wieder ein Kind aus ihm gemacht. Er nahm sich zu wichtig und war zu verkrampft. Er wäre gestorben, falls er nicht jünger gemacht worden wäre.« Pablito hatte etwas sehr Offenes und Gewinnendes an sich. Die Einfachheit seiner Erklärung beeindruckte mich. Nestor war wirklich jünger. Er sah nicht nur jünger aus, sondern er gab sich auch wie ein unschuldiges Kind. Ich wußte zweifelsfrei, daß er sich wirklich so fühlte.
»Ich paß auf ihn auf«, fuhr Pablito fort. »Genaro sagt, es ist eine Ehre, auf einen Krieger aufzupassen. Nestor ist ein guter Krieger.«
Seine Augen leuchteten wie die von Don Genaro. Er schlug mir kräftig auf den Rücken und lachte. »Wünsch ihm Glück, Carlitos!« sagte er. »Wünsch ihm Glück!« Ich war sehr müde. Eine merkwürdige, glückliche Traurigkeit überflutete mich. Ich sagte ihm, ich käme aus einer Stadt, wo die Leute einander selten einmal Glück wünschen. »Ich weiß«, sagte er. »Mir ging es genauso. Aber jetzt bin ich ein Krieger, und ich kann's mir leisten, ihm Glück zu wünschen.«
Die Strategie eines Zauberers
Don Juan war in Don Genaros Haus, als ich dort spät am Vormittag eintraf. Ich begrüßte ihn.
»Heh, was war mit dir passiert? Genaro und ich haben den ganzen Abend auf dich gewartet«, sagte er. Ich wußte, daß er Spaß machte. Ich war unbeschwert und glücklich. Ich hatte mich systematisch geweigert, über all das nachzugrübeln, was ich am Vortag erlebt hatte. Jetzt aber war meine Neugier unbezähmbar, und ich bestürmte ihn mit Fragen. »Ach, das war eine einfache Demonstration all der Dinge, die du wissen solltest, bevor du die Erklärung der Zauberer vernimmst«, sagte er. »Wie du dich gestern verhalten hast, das hat Genaro überzeugt, daß du genug persönliche Kraft gespeichert hast, um zur Hauptsache zu kommen. Anscheinend hast du seine Empfehlungen befolgt. Gestern hast du die Flügel deiner Wahrnehmung noch nicht ausgebreitet. Du warst steif, aber du hast doch das ganze Kommen und Gehen des Nagual wahrgenommen. Mit anderen Worten, du hast gesehen. Noch etwas hast du bewiesen, was im Augenblick noch wichtiger ist als das Sehen, und das war die Tatsache, daß du jetzt deine unerschütterliche Aufmerksamkeit auf das Nagual richten kannst. Und dies ist es, was über den Ausgang der letzten Frage, der Erklärung der Zauberer, entscheiden wird. Pablito und du, ihr werdet sie gleichzeitig erhalten. Von einem so
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