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Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten

Titel: Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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guten Krieger begleitet zu werden, das ist ein Geschenk der Kraft.« Mehr wollte er anscheinend vorläufig nicht sagen. Nach einiger Zeit fragte ich ihn nach Don Genaro. »Er ist da«, sagte er. »Er ist ins Gebüsch gegangen, um die Berge erbeben zu lassen.« In diesem Moment hörte ich in der Ferne ein Rumpeln, wie gedämpften Donner. Don Juan sah mich an und lachte. Er hieß mich Platz nehmen und fragte, ob ich gegessen hätte. Das hatte ich, also drückte er mir mein Notizbuch in die Hand und führte mich zu Genaros Lieblingsplatz, einem großen Stein an der Westseite des Hauses, von wo aus man eine tiefe Schlucht überblicken konnte.
    »Jetzt aber brauche ich deine ganze Aufmerksamkeit«, sagte Don Juan. »Aufmerksamkeit in dem Sinn, wie die Krieger Aufmerksamkeit verstehen: eine echte innere Pause, um die Erklärung der Zauberer voll in dich eindringen zu lassen. Wir sind jetzt am Ende deiner Aufgabe angelangt. Du hast alle notwendigen Instruktionen erhalten, und jetzt mußt du innehalten, zurückblicken und deine Schritte überdenken. Die Zauberer sagen, dies ist das einzige Mittel, um die eigenen Siege zu festigen. Es wäre mir entschieden lieber gewesen, dir all dies an deinem eigenen Platz der Kraft zu sagen, aber Genaro ist dein Wohltäter, und sein Platz kann in diesem Fall noch wohltätiger für dich sein.«
    Was er meinen »Platz der Kraft« nannte, war ein Berggipfel in der Wüste Nordmexikos, den er mir vor Jahren einmal gezeigt und mir »geschenkt« hatte.
    »Soll ich dir nur zuhören, ohne mitzuschreiben?« fragte ich. »Das ist wirklich eine knifflige Frage«, sagte er. »Einerseits brauche ich deine ganze Aufmerksamkeit, und andererseits mußt du ruhig und selbstsicher sein. Schreiben ist für dich das einzige Mittel, um unbefangen zu bleiben, daher mußt du diesmal all deine persönliche Kraft aufbringen und diese unmögliche Aufgabe vollbringen, du selbst zu sein, ohne du selbst zu sein.«
    Lachend schlug er sich auf die Schenkel. »Ich sagte dir ja schon, daß ich für dein Tonal verantwortlich bin und daß Genaro für dein Nagual verantwortlich ist«, fuhr er fort. »Es war meine Pflicht, dir bei allem zu helfen, was dein Tonal betrifft, und alles was ich mit dir getan oder dir angetan habe, geschah, um diese eine Aufgabe zu erfüllen, die Aufgabe, deine Insel des Tonal leerzufegen und neu zu ordnen. Das war mein Job als dein Lehrer. Genaros Aufgabe als dein Wohltäter ist es, dir unleugbare Demonstrationen des Nagual zu erteilen und dir zu zeigen, wie man zu ihm gelangt.«
    »Was meinst du mit Leerfegen und Neuordnen des Tonal?« fragte ich. »Ich meine die totale Veränderung, von der ich dir erzähle, seit dem ersten Tag, als wir uns begegneten«, sagte er. »Unzählige Male habe ich dir gesagt, daß eine ganz grundlegende Änderung notwendig ist, wenn du den Weg des Wissens bestehen willst. Diese Veränderung ist keine Änderung der Stimmung, der Einstellung oder des Äußeren. Diese Änderung erfordert die Transformation der Insel des Tonal. Diese Aufgabe hast du erfüllt.«
    »Glaubst du, ich habe mich geändert?« fragte ich. Er zögerte, dann lachte er auf.
    »Du bist so verrückt wie eh und je«, sagte er. »Und doch bist du nicht mehr derselbe. Siehst du, was ich meine?« Er machte sich über mein Mitschreiben lustig und meinte, wie schade es sei, daß Don Genaro nicht da sei, der über die Absurdität, daß ich mich anschickte, die Erklärung der Zauberer niederzuschreiben, viel zu lachen haben würde. »Jetzt, an diesem Punkt, sagt der Lehrer normalerweise zu seinem Schüler, daß sie einen letzten Scheideweg erreicht haben«, fuhr er fort. »Derlei ist aber irreführend. Meiner Meinung nach gibt es keinen letzten Scheideweg, überhaupt keinen letzten Schritt, wohin auch immer. Und da es keinen solchen letzten Schritt gibt, sollte es eigentlich auch kein Geheimnis um irgendeinen Teil unseres Geschicks als leuchtende Wesen geben. Die persönliche Kraft entscheidet, wer von einer Offenbarung profitieren kann und wer nicht. Meine Erfahrungen mit meinen Mitmenschen haben mir gezeigt, daß nur sehr, sehr wenige bereit sind zuzuhören, und von denen, die zuhören, sind noch weniger bereit, in ihrem Handeln zu befolgen, was sie gehört haben. Und von denjenigen, die bereit sind, entsprechend zu handeln, haben noch weniger genügend persönliche Kraft, um von ihren Handlungen zu profitieren. Das Geheimnis um die Erklärung der Zauberer reduziert sich mithin auf eine Routine -eine Routine,

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