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Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten

Titel: Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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Geräusch hatte inzwischen aufgehört. Don Juan befahl mir, meine Gedanken anzuhalten, aber die Augen offenzuhalten und mich auf den Rand des Chaparral vor mir zu konzentrieren. Er sagte, der Nachtfalter habe seinen Platz gewechselt, weil Don Genaro da sei, und wenn er sich mir zeigen wolle, dann werde er es vorziehen, von vorn zu kommen.
    Ich mußte einen Augenblick darum ringen, meine Gedanken zu beruhigen, und dann nahm ich das Geräusch wieder wahr. Es war jetzt voller denn zuvor. Zuerst hörte ich die gedämpften Schritte auf trockenem Laub, und dann spürte ich sie auf meinem Körper. In diesem Moment entdeckte ich direkt vor mir, am Rand des Chaparral, eine dunkle Masse. Ich fühlte, wie ich gerüttelt wurde. Ich schlug die Augen auf. Don Juan und Don Genaro standen über mich gebeugt, und ich kniete, als sei ich in kauernder Haltung eingeschlafen. Don Juan gab mir Wasser zu trinken, und ich setzte mich wieder mit dem Rücken zur Wand.
    Bald darauf dämmerte es. Der Chaparral schien zu erwachen. Die Morgenkühle war scharf und belebend. Der Nachtfalter war nicht Don Genaro gewesen. Mein rationales Gebäude fiel auseinander. Ich wollte keine Fragen mehr stellen, aber ich wollte auch nicht schweigen. Ich mußte endlich sprechen. »Aber wenn du doch in Zentralmexiko warst. Don Genaro, wie bist du dann hierhergekommen?« fragte ich. Don Genaro machte komische, sehr belustigende Bewegungen mit dem Mund.
    »Tut mir leid«, sagte er, »mein Mund will nicht sprechen.« Dann wandte er sich an Don Juan und sagte grinsend: »Warum sagst du es ihm nicht?«
    Don Juan schien unschlüssig. Dann meinte er, daß Don Genaro, als vollendeter Künstler der Zauberei, zu erstaunlichen Taten imstande sei.
    Don Genaros Brust wölbte sich, als ob Don Juans Worte sie aufblähten. Er hatte anscheinend so viel Luft eingeatmet, daß sein Brustkorb das Doppelte seines normalen Umfangs zu haben schien. Jeden Moment schien er davonzuschweben. Er sprang in die Luft. Ich hatte den Eindruck, daß die Luft in seinen Lungen ihn gezwungen hatte zu springen. Er raste über dem Boden hin und her, bis er anscheinend die Kontrolle über seinen Brustkorb wieder gewann; er klopfte ihn ab und strich kräftig mit den Handflächen von den Brustmuskeln zum Bauch hinab, als ob er die Luft aus einem Autoreifen pressen wollte. Schließlich setzte er sich.
    Don Juan grinste. Seine Augen leuchteten vor Begeisterung. »Schreib an deinen Notizen«, befahl er mir leise. »Schreib, schreib, sonst mußt du sterben.«
    Dann erklärte er, daß selbst Don Genaro es nicht mehr so komisch finde, wenn ich mir Notizen machte. »Das stimmt!« erwiderte Don Genaro. »Ich habe selbst schon daran gedacht, mit dem Schreiben anzufangen.«
    »Genaro ist ein Wissender«, sagte Don Juan wie beiläufig. »Und als Wissender ist er ohne weiteres imstande, sich über große Entfernungen hinweg zu befördern.«
    Er erinnerte mich daran, wie wir drei einmal vor Jahren im Gebirge gewesen waren und Don Genaro, im Bemühen, mir bei der Überwindung meiner törichten Vernunft zu helfen, einen gewaltigen Satz hinauf zu den Gipfeln der Sierra getan hatte - zehn Meilen weit. Ich erinnerte mich an das Ereignis, aber mir fiel auch ein, daß ich damals nicht einmal begriffen hatte, daß er gesprungen war.
    Don Juan fügte hinzu, daß Don Genaro zu gewissen Zeiten imstande sei, außerordentliche Taten zu vollbringen. »Zu gewissen Zeiten ist Genaro nicht Genaro, sondern sein Doppelgänger«, sagte er.
    Dies wiederholte er drei oder viermal. Dann beobachteten mich die beiden, als warteten sie auf meine unmittelbare Reaktion.
    Ich hatte nicht verstanden, was er mit »seinem Doppelgänger« meinte. Er hatte nie zuvor dergleichen erwähnt. Ich bat um eine Erklärung.
    »Es gibt noch einen anderen Genaro«, erläuterte er. Alle drei blickten wir uns an. Mir wurde ganz ungemütlich. Durch einen Augenwink drängte mich Don Juan, ich solle weitersprechen.
    »Hast du einen Zwillingsbruder?« fragte ich zu Don Genaro gewandt.
    »Natürlich«, sagte er. »Ich habe einen Zwilling.«
    Ich war unschlüssig, ob sie mich an der Nase herumführten oder nicht. Die beiden kicherten mit der Ausgelassenheit von Kindern, die jemandem einen Streich spielen.
    »Man könnte sagen«, fuhr Don Juan fort, »daß Genaro in diesem Augenblick sein eigener Zwilling ist.«
    Auf diese Feststellung hin fielen die beiden fast um vor Lachen. Aber ich konnte ihrer Heiterkeit nichts abgewinnen.
    Mein Körper zitterte unwillkürlich.
    Don

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