Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten
er lachend, »und bin ins Haus gelaufen. Ich fürchtete, wenn ich hier draußen geblieben wäre, hättest du Angst gekriegt.« Beiläufig meinte er. ich sei in düsterer und bedrückter Stimmung. Er sagte, ich erinnerte ihn an Eligio, der schwermütig genug sei, um ein guter Zauberer zu sein, aber zu schwermütig, um ein Wissender zu werden, und er fügte hinzu, um den verheerenden Folgen einer Begegnung mit der Welt der Zauberer entgegenzuwirken, bleibe einem nur die Möglichkeit, darüber zu lachen. Mit seinem Urteil über meine Stimmung hatte er recht. Tatsächlich plagten mich Sorgen und Ängste. Wir unternahmen einen langen Spaziergang. Es brauchte Stunden, bis ich mich unbeschwerter fühlte. Einfach neben ihm dahinzugehen tat mir wohler, als wenn ich versucht hätte, mich aus meiner Trübseligkeit herauszureden.
Am Spätnachmittag kehrten wir zum Haus zurück. Ich war ausgehungert. Nachdem wir gegessen hatten, setzten wir uns auf die Veranda. Der Himmel war heiter. Das milde Licht des Nachmittags stimmte mich behaglich. Ich wollte sprechen. »Seit Monaten fühle ich mich unwohl«, sagte ich. »Was du und Don Genaro beim letzten Mal, als ich hier war. gesagt und getan habt, war wirklich furchtbar.
Don Juan sagte nichts. Er stand auf und schritt um die Veranda herum.
»Ich muß darüber sprechen«, sagte ich. »Es verfolgt mich, und ich muß dauernd darüber nachdenken.«
»Hast du Angst?« fragte er.
Ich hatte keine Angst, sondern war verwirrt und überwältigt durch das, was ich gehört und gesehen hatte. Die Lücken meiner Vernunft waren so gewaltig, daß ich sie entweder auffüllen oder meine Vernunft überhaupt aufgeben mußte. Meine Ausführungen brachten ihn zum Lachen. »Wirf deine Vernunft noch nicht fort!« sagte er. »Es ist noch nicht Zeit dafür. Es wird ohnehin geschehen, aber ich glaube nicht, daß dies schon der richtige Augenblick ist.«
»Sollte ich also versuchen, für das Geschehene eine Erklärung zu finden?« fragte ich.
»Gewiß!« erwiderte er. »Es ist deine Pflicht, deinen Verstand in Ordnung zu bringen. Krieger erringen ihre Siege nicht, indem sie mit dem Kopf gegen die Wand stürmen, sondern indem sie die Wand überwinden. Krieger überspringen die Wand; sie reißen sie nicht nieder.«
»Aber wie kann ich diese hier überspringen?« frage ich. »Vor allem halte ich es für grundfalsch, daß du alles dermaßen ernst nimmst«, sagte er und setzte sich neben mich. »Es gibt dreierlei schlechte Gewohnheiten, in die wir immer wieder verfallen, sobald wir im Leben mit ungewöhnlichen Situationen konfrontiert sind. Erstens können wir das, was geschieht oder geschehen ist, leugnen und so tun, als sei es nie geschehen. So machen es die Bigotten. Zweitens können wir alles unbesehen akzeptieren und so tun, als wüßten wir, was geschieht. So machen es die Frommen. Drittens kann ein Ereignis uns zwanghaft beschäftigen, weil wir es weder leugnen noch rückhaltlos akzeptieren können. So machen es die Narren. Du etwa auch? Doch es gibt noch eine vierte Möglichkeit, die richtige nämlich, die des Kriegers. Ein Krieger handelt so, als sei überhaupt nichts geschehen, weil er an gar nichts glaubt, und doch akzeptiert er alles unbesehen. Er akzeptiert, ohne zu akzeptieren, und leugnet, ohne zu leugnen. Nie tut er so, als wisse er, noch tut er so, als sei nichts geschehen. Er handelt so, als ob er die Situation in der Hand hätte, auch wenn ihm vielleicht die Hosen schlottern. Diese Art zu handeln vertreibt die zwanghafte Beschäftigung mit den Dingen.« Lange schwiegen wir. Don Juans Worte wirkten wie Balsam auf mich. »Darf ich etwas über Don Genaro und seinen Doppelgänger sagen?« fragte ich.
»Es hängt davon ab. was du über ihn sagen willst«, antwortete er. »Willst du dich mit deinen Zwangsvorstellungen beschäftigen?«
»Ich will mich mit Erklärungen beschäftigen«, sagte ich. »Ich beschäftige mich zwanghaft damit, weil ich nicht wagte, dich zu besuchen, und nicht imstande war. mit irgend jemandem über meine Skrupel und Zweifel zu sprechen.«
»Redest du denn nicht mit deinen Freunden?«
»Das wohl, aber wie könnten sie mir helfen' 1 «
»Ich habe nie daran gedacht, daß du Hilfe benötigst. Du mußt das Gefühl entwickeln, daß ein Krieger nichts benötigt. Du sagst, du brauchst Hilfe. Hilfe wofür'? Du hast alles, was du für diese großartige Reise brauchst, die dein Leben ist. Ich habe versucht, dich zu lehren, daß die wirkliche Erfahrung darin besteht, ein Mensch
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