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Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten

Titel: Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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.« Er ließ mich meine Überlegungen nicht fortsetzen. Es sei doch unpassend, ermahnte er mich, davon zu sprechen, er habe mir vom Doppelgänger erzählt, während ich doch behaupten dürfe, ihn selbst erlebt zu haben.
    »Offensichtlich kann der Doppelgänger handeln«, sagte ich. »Offensichtlich!« erwiderte er.
    »Aber kann der Doppelgänger anstelle des Selbst handeln?«
    »Verdammt, er ist das Selbst!«
    Ich hatte große Mühe, mich verständlich zu machen. Ich hatte die Vorstellung, daß - wenn ein Zauberer zwei Handlungen gleichzeitig ausführen konnte - seine Fähigkeit, nützliche Dinge zu tun. sich verdoppeln mußte. Demnach konnte er gleichzeitig zwei Arbeiten verrichten, an zwei Orten sein, zwei Besuche machen usw. Don Juan hörte geduldig zu. »Darf ich es mal folgendermaßen ausdrücken?« sagte ich.
    »Man könnte doch hypothetisch behaupten, daß Don Genaro Hunderte von Kilometern entfernt jemanden töten kann, indem er seinen Doppelgänger dies ausführen läßt, nicht wahr?«
    Don Juan sah mich an. Er schüttelte den Kopf und wandte sich ab.
    »Du bist voll von gewalttätigen Geschichten«, sagte er. »Genaro kann niemanden töten, weil er kein Interesse mehr an seinen Mitmenschen hat. Wenn ein Krieger einmal das Sehen und das Träumen beherrscht und sich seiner leuchtenden Gestalt bewußt ist, dann hat er für derlei kein Interesse mehr.« Ich wandte ein, er habe doch zu Beginn meiner Lehrzeit geäußert, daß ein Zauberer sich mit Hilfe seines »Verbündeten« über viele hundert Kilometer hinwegsetzen könne, um einen Schlag gegen seine Feinde zu führen. »Ich bin verantwortlich für deine Verwirrung«, sagte er. »Aber erinnere dich: bei einer anderen Gelegenheit sagte ich dir, daß ich bei dir nicht jene Schritte eingehalten habe, die mein eigener Lehrer mir vorschrieb. Er war ein Zauberer, und ich hätte dich regelrecht in diese Welt hineinstürzen sollen. Ich tat es nicht, weil ich mich nicht mehr um das Auf und Ab meiner Mitmenschen kümmere. Dennoch hafteten die Worte meines Lehrers mir an. Viele Male habe ich zu dir gesprochen, genau wie er selbst zu sprechen pflegte. Aber Genaro ist ein Wissender. Der vollkommenste von allen. Seine Taten sind unfehlbar. Er steht über den gewöhnlichen Menschen, auch über den Zauberern. Sein Doppelgänger ist ein Ausdruck seiner Freude und seines Humors. Daher kann er ihn unmöglich einsetzen, um alltägliche Situationen zu schaffen oder zu lösen. Soviel ich weiß, ist der Doppelgänger das Bewußtsein von unserem Zustand als leuchtende Wesen. Ich mag tun, was ich will, und doch zieht er es vor, unauffällig und freundlich zu sein.
    Es war mein Fehler, daß ich dich mit entlehnten Worten in die Irre führte. Mein Lehrer war nicht fähig, solche Dinge zu bewirken wie Genaro. Unglücklicherweise blieben für meinen Lehrer - genau wie für dich - gewisse Dinge lediglich Erzählungen der Kraft.«
    Ich fühlte mich gezwungen, meinen Standpunkt zu verteidigen. Ich sagte, ich spräche doch nur in hypothetischem Sinne. »Es gibt keinen hypothetischen Sinn, sobald man über die Welt der Wissenden spricht«, sagte er. »Ein Wissender kann seinen Mitmenschen niemals Schaden zufügen, ob hypothetisch oder sonst wie.«
    »Aber wie, wenn seine Mitmenschen einen Anschlag auf seine Sicherheit und sein Wohl planen? Kann er dann seinen Doppelgänger einsetzen, um sich zu schützen?« Er schnalzte mißbilligend mit der Zunge. »Welch unglaubliche Gewalttätigkeit steckt in deinen Gedanken«, sagte er. »Niemand kann einen Anschlag auf die Sicherheit und das Wohl eines Wissenden planen. Er sieht, daher wird er Vorkehrungen treffen, um dergleichen zu verhindern. Genaro zum Beispiel nimmt ein kalkuliertes Risiko auf sich, wenn er sich mit dir abgibt. Aber du könntest gar nichts tun, um seine Sicherheit zu gefährden. Falls es dergleichen gäbe, würde sein Sehen es ihn wissen lassen. Wenn nun irgend etwas an dir ist, das von Natur aus schädlich für ihn ist, und sein Sehen dies nicht erfassen kann, dann ist es eben sein Schicksal, und diesem kann weder Genaro noch sonst jemand entgehen. Du siehst also, ein Wissender hat die Kontrolle, ohne irgend etwas zu kontrollieren.«
    Wir schwiegen. Die Sonne berührte schon die hohen Büsche an der westlichen Seite des Hauses. Somit blieben noch zwei Stunden Tageslicht.
    »Warum rufst du nicht Genaro?« fragte Don Juan beiläufig. Mein Körper schnellte empor. Meine erste Reaktion war, alles fallenzulassen und zum Auto zu rennen.

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