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Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten

Titel: Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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Don Juan lachte aus vollem Hals. Ich sagte ihm, ich hätte es nicht nötig, mir irgend etwas zu beweisen, und es genüge mir vollauf, mit ihm zu sprechen. Don Juan konnte sich nicht halten vor Lachen. Es sei eine Schande, meinte er schließlich, daß Don Genaro nicht hier sei, um dieses tolle Spektakel mitzuerleben. »Hör mal, wenn du schon keine Lust hast, Genaro zu rufen, dann will ich es tun«, sagte er entschlossen. »Ich liebe seine Gesellschaft.« Ich spürte einen scheußlich bitteren Geschmack unter dem Gaumen. Schweißperlen liefen mir über die Stirn und über die Oberlippe. Ich wollte etwas einwenden, aber es gab wirklich nichts zu sagen.
    Don Juan musterte mich mit einem langen, prüfenden Blick. »Komm schon!« sagte er. »Ein Krieger ist immer bereit. Um ein Krieger zu sein, ist es nicht einfach damit getan, daß man einer sein möchte. Vielmehr ist es ein endloser Kampf, der bis zum allerletzten Augenblick unseres Lebens währt. Niemand ist als Krieger geboren, genau wie niemand als vernunftbegabtes Wesen geboren wird. Wir machen das eine oder das andere aus uns.
    Reiß dich zusammen! Ich will nicht, daß Genaro sieht, wie du zitterst.«
    Er stand auf und schritt auf dem sauber gefegten Vorplatz auf und ab. Ich konnte nicht gelassen bleiben. Meine Nervosität wurde so heftig, daß ich nicht mehr schreiben konnte, und ich sprang auf die Füße.
    Don Juan hieß mich, mit dem Gesicht nach Westen auf der Stelle traben. Schon vorher hatte er mich bei verschiedenen Gelegenheiten dieselbe Bewegung ausführen lassen. Dab ei ging es darum, aus der anbrechenden Dämmerung »Kraft« zu ziehen, indem man die Arme mit fächerförmig gespreizten Fingern zum Himmel streckte und dann, wenn die Arme sich in der Mitte zwischen Horizont und Zenit befanden, die Hände kraftvoll zu Fäusten ballte.
    Diese Übung tat ihre Wirkung, und fast augenblicklich wurde ich ruhig und gefaßt. Ich konnte jedoch nicht umhin, mich zu fragen, was mit meinem alten »Ich« geschehen sein mochte, das sich durch das Ausführen so einfacher und törichter Bewegungen niemals so vollkommen hätte entspannen können. Nun wollte ich meine ganze Aufmerksamkeit auf das Verfahren konzentrieren, das Don Juan zweifellos befolgen würde, um Don Genaro zu rufen. Ich erwartete irgendwelche grotesken Vorkehrungen. Don Juan aber stand, nach Südosten gewandt, auf der Veranda, legte die Hände trichterförmig um den Mund und rief: »Genaro! Komm her!« Im nächsten Augenblick tauchte Don Genaro aus dem Chaparral auf. Die beiden strahlten. Sie tanzten buchstäblich vor mir hin und her.
    Don Genaro begrüßte mich überschwänglich und setzte sich dann auf die Milchbütte.
    Irgend etwas stimmte ganz und gar nicht mit mir. Ich war ruhig, gelassen. Eine unglaubliche Gleichgültigkeit und Entrücktheit hatten mein ganzes Wesen erfaßt. Fast war es so, als beobachtete ich mich selbst aus einem Versteck. Ganz unbekümmert berichtete ich Don Genaro, daß er mich bei meinem letzten Besuch beinahe zu Tode erschreckt habe und ich nicht einmal bei meinen Erlebnissen mit psychotropen Pflanzen in einem so völlig chaotischen Zustand gewesen sei. Die beiden bejubelten meine Äußerungen, als hätte ich einen guten Witz gemacht. Ich fiel in ihr Lachen ein.
    Offensichtlich wußten sie um meine emotionale Betäubung. Sie beobachteten mich und hänselten mich, als ob ich betrunken wäre.
    Irgend etwas in mir kämpfte verzweifelt, um die Situation in den Griff zu bekommen. Ich hätte mich lieber betroffen und verängstigt gefühlt.
    Schließlich spritzte Don Juan mir Wasser ins Gesicht und nötigte mich, ruhig sitzen zu bleiben und mir Notizen zu machen. Er sagte, wie schon vorhin, ich müsse entweder schreiben, oder ich würde sterben. Der bloße Akt. ein paar Worte niederzuschreiben, brachte mir meine vertraute Stimmung wieder. Es war, als würde irgend etwas wieder glasklar -etwas, das einen Augenblick zuvor noch stumpf und taub war. Das Wiederauftauchen meines gewohnten Selbst bedeutete auch das Wiederauftauchen meiner gewohnten Ängste. Seltsamerweise hatte ich weniger Angst davor, Angst zu haben, als keine Angst zu haben. Die Vertrautheit meiner alte n Gewohnheiten, ganz gleich, wie unangenehm sie sein mochten, brachte mir eine wunderbare Erleichterung. Dann erst wurde mir voll bewußt, daß Don Genaro gerade aus dem Chaparral aufgetaucht war. Meine gewohnten Denkprozesse begannen wieder zu arbeiten. Von Anfang an weigerte ich mich, über den ganzen Vorgang nachzudenken

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