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Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten

Titel: Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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befand sich ein paar Meter entfernt. Mein Traum war so wundervoll gewesen, daß ich ihm davon erzählen wollte. Er gebot mir Schweigen. Mit einem langen Zweig wies er auf zwei lange Schatten, die die Äste des Wüstenchaparral auf die Erde warfen. Die Spitze seines Zweiges folgte den Umrissen des einen Schattens, als wollte sie ihn nachzeichnen, dann sprang sie zum anderen hinüber und tat dort dasselbe. Die Schatten waren etwa einen halben Meter lang und fast fünf Zentimeter breit; sie lagen zwanzig bis dreißig Zentimeter von einander entfernt. Meine Augen, die den Bewegungen des Zweiges folgten, gerieten dadurch außer Kontrolle, und schließlich sah ich mit schielenden Augen vier Schatten; auf einmal verschmolzen die zwei mittleren Schatten zu einem einzigen und riefen eine außerordentlich tiefenscharfe Wahrnehmung hervor. Der so gebildete Schatten wies eine unerklärliche Fülle und Räumlichkeit auf; er war beinah wie ein durchsichtiges Rohr, eine runde Stange aus irgendeiner unbekannten Substanz. Ich wußte, daß meine Augen schielten, und doch schienen sie auf eine Stelle zentriert zu sein; was ich dort sah, war glasklar. Ich konnte die Augen bewegen, ohne daß das Bild sich auflöste. Ich schaute dauernd hin, ohne jedoch meine Wachsamkeit abzulegen. Ich verspürte einen komischen Zwang, mich zu entspannen und mich ganz in die Szene zu vertiefen. Irgendwie schien das, was ich beobachtete, mich anzuziehen; aber etwas anderes in mir drängte sich in den Vordergrund, und ich fing ein halbbewußtes Selbstgespräch an. Fast augenblicklich kam mir die Umgebung meiner alltäglichen Welt zu Bewußtsein.
    Don Juan beobachtete mich. Er schien beunruhigt. Ich fragte ihn, was denn los sei. Er antwortete nicht. Er war mir behilflich, mich aufzusetzen. Erst dann erkannte ich, daß ich auf dem Rücken gelegen und in den Himmel geschaut hatte, während Don Juan sich über mein Gesicht beugte. Mein erster Impuls war, ihm zu sagen, daß ich tatsächlich die Schatten am Boden gesehen hatte, während ich in den Himmel schaute, aber er legte mir die Hand auf den Mund. Einige Zeit saßen wir schweigend da. Ich hatte keinerlei Gedanken. Ich empfand einen köstlichen Frieden, und dann spürte ich ganz plötzlich einen unwiderstehlichen Drang, aufzustehen und in den Chaparral zu gehen, um Don Genaro zu suchen. Ich machte einen Versuch, mit Don Juan zu sprechen. Er hob das Kinn und preßte die Lippen zusammen - es war ein wortloser Befehl, jetzt nichts zu sagen. Ich versuchte mir ein vernünftiges Bild von meiner merkwürdigen Situation zu machen; aber mein Schweigen machte mich so glücklich, daß ich mich nicht mit logischen Spitzfindigkeiten herumschlagen wollte.
    Nach kurzer Pause verspürte ich abermals das zwingende Bedürfnis, ins Gebüsch hineinzugehen. Ich folgte einem schmalen Pfad. Don Juan trottete hinterher, als sei ich der Führer.
    Wir gingen ungefähr eine Stunde. Es gelang mir, frei von irgendwelchen Gedanken zu bleiben. Dann kamen wir an einen Hügel. Dort war Don Genaro; er saß in der Nähe des Gipfels auf einer Felsmauer. Er begrüßte mich überschwenglich, wobei er laut schreien mußte; er befand sich an die dreißig Meter über dem Boden. Don Juan befahl mir, mich zu setzen, und nahm neben mir Platz. Don Genaro erklärte, ich hätte den Platz gefunden, wo er mich erwartet hätte, denn er habe mich durch ein Geräusch geleitet, das er hervorgebracht habe. Kaum hatte er dies gesagt, da wurde mir klar, daß ich tatsächlich ein seltsames Geräusch gehört hatte, das mir wie Ohrensausen erschienen war; ich hatte es eher als ein inneres Phänomen aufgefaßt, einen körperlichen Zustand, eine so unbestimmte Klangempfindung, daß es sich jeder bewußten Beurteilung und Deutung entzog.
    Ich glaubte zu sehen, daß Don Genaro ein kleines Instrument in der linken Hand hielt. Von dort, wo ich saß, konnte ich es nicht genau erkennen. Es sah aus wie eine Maultrommel; damit brachte er einen weichen, unheimlichen Klang hervor, der praktisch kaum wahrnehmbar war. Er spielte noch einen Augenblick weiter, als wolle er mir Zeit lassen, ganz zu ermessen, was er eben gesagt hatte. Dann zeigte er mir seine linke Hand. Sie war leer; keine Spur von einem Instrument. Durch die Art, wie er die Hand an den Mund hielt, hatte ich den Eindruck gehabt, als ob er ein Instrument spielte. In Wirklichkeit brachte er diesen Klang mit den Lippen und mit der linken Handkante, zwischen Daumen und Zeigefinger, hervor.
    Ich wandte mich an Don Juan,

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