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Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten

Titel: Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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erklären, daß nämlich der Verbündete ein Nachtfalter ist.
    Vor ein paar Jahren gingen wir beide ins Gebirge, und du mußtest einen Kampf mit irgend etwas bestehen. Damals war es mir unmöglich, dir zu sagen, was dabei vor sich ging. Du sahst einen seltsamen Schatten vor dem Feuer hin- und herhuschen. Du kamst selbst darauf, daß er wie ein Nachtfalter aussah. Obwohl du nicht wußtest, was du da sagtest, hattest du absolut recht, denn der Schatten war ein Nachtfalter. Dann, bei einer anderen Gelegenheit, brachte irgend etwas dich vor Angst fast von Sinnen, nachdem du eingeschlafen warst, und wieder war es in der Nähe eines Feuers. Ich hatte dich gewarnt, nicht einzuschlafen, aber du hast meine Warnung in den Wind geschlagen. Dies lieferte dich dem Verbündeten aus, und der Nachtfalter trat dir ins Genick. Wieso du das überlebt hast, wird mir immer ein Rätsel bleiben. Du wußtest es nicht, aber damals hatte ich dich schon aufgegeben. So schwerwiegend war dieser Schnitzer.
    Seit damals, auch wenn du es nicht bemerkt hast, folgte der Nachtfalter uns immer, wenn wir uns im Gebirge oder in der Wüste aufhielten. Alles in allem können wir also sagen, daß der Verbündete für dich ein Nachtfalter ist. Aber ich kann nicht sagen, daß er wirklich ein Nachtfalter ist. so wie wir Nachtfalter kennen. Den Verbündeten als Nachtfalter zu bezeichnen ist abermals nur eine bildliche Redeweise, eine Möglichkeit, die Unermeßlichkeit dort draußen verständlich zu machen.«
    »Ist der Verbündete auch für dich ein Nachtfalter ? « fragte ich.
    »Nein. Die Art, wie man den Verbündeten begreift, ist eine Frage des Temperaments«, sagte er.
    Ich hielt ihm vor. daß wir wieder am Ausgangspunkt seien: denn er hatte mir nicht gesagt, was ein Verbündeter wirklich ist.
    »Es ist nicht nötig, sich verwirren zu lassen«, sagte er. »Die Verwirrung ist eine Stimmung, in die man hineinstürzt, aber man kann auch wieder aus ihr herausgelangen. Im Augenblick ist es unmöglich, irgend etwas zu erklären. Vielleicht werden wir heute noch, später, Gelegenheit haben, diese Fragen ausführlich zu erörtern. Das hängt ganz von dir ab. Oder besser, es hängt von deiner persönlichen Kraft ab.«
    Er weigerte sich, noch ein weiteres Wort zu sagen. Ich war ganz durcheinander, aus Furcht, ich könnte die Probe nicht bestehen. Don Juan führte mich hinter das Haus und hieß mich auf einer Strohm atte am Rand eines Wass ergrab ens niedersitzen. Das Wasser flöß so langsam, daß es fast stillzustehen schien. Er befahl mir, ruhig sitzen zu bleiben, meinen inneren Dialog abzustellen und ins Wasser zu schauen. Er erinnerte mich daran, daß ich vor Jahren an mir eine gewisse Affinität zu Gewässern entdeckt hätte, ein Gefühl, das für mein jetziges Bemühen höchst förderlich sei. Ich entgegnete. daß ich keine besondere Vorliebe für Gewässer hätte, aber auch keine Abneigung. Dies sei gerade der Grund, meinte er. warum Wasser so gut für mich sei, denn ich sei ihm gegenüber indifferent. Unter schwierigen Bedingungen könne das Wasser mich nicht gefangenhalten, aber es könne mich auch nicht abstoßen.
    Er saß knapp hinter mir zu meiner Rechten und empfahl mir. mich zu entspannen und keine Angst zu haben, denn er sei ja da, um mir zu helfen, falls es irgend nötig werden sollte. Einen Augenblick lang hatte ich Angst. Ich schaute ihn an und wartete auf weitere Anweisungen. Gewaltsam drehte er meinen Kopf zum Wasser und befahl mir weiterzumachen. Ich hatte keine Ahnung, was er von mir wollte, daher entspannte ich mich einfach. Während ich so übers Wasser schaute, fiel mein Blick auf das Schilf am anderen Ufer. Unbewußt ließ ich meinen unkonzentrierten Blick darauf ruhen. Es bebte unter der langsamen Strömung. Das Wasser hatte die Farbe von Wüstensand. Mir fiel auf, daß die Wellen an den Schilfhalmen wie kleine Rillen oder Spalten in einer weichen Oberfläche aussahen. Plötzlich wurden die Schilfhalme ganz riesig, das Wasser war eine weiche, glatte, ockerfarbene Fläche, und dann befand ich mich binnen Sekunden im tiefem Schlaf; oder besser, ich verfiel in einen Wahrnehmungszustand, wie ich ihn noch nie erlebt hatte. Die angemessenste Umschreibung wäre zu sagen, daß ich einschlief und einen absurden Traum hatte. Diesen Traum meinte ich unendlich fortsetzen zu können, wenn ich nur wollte, aber ich beendete ihn absichtlich, indem ich ein bewußtes Selbstgespräch anfing. Ich öffnete die Au gen. Ich lag auf der Strohmatte. Don Juan

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