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Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten

Titel: Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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»Dies ist die Gefahr beim Sichgehenlassen. Besonders bei dir, da du von Natur aus so exaltiert bist. Dein Tonal KI so begabt zum Sichgehenlassen. daß es die Ganzheit deines Selbst bedroht. Dies ist ein furchtbarer Zustand.«
    »Was kann ich tun?«
    »Dein Tonal muß mit Gründen überzeugt werden, dein Nagual mit Taten, bis eines das andere stützt. Das Tonal herrscht, wie ich dir sagte, und doch ist es sehr verletzlich. Das Nagual hingegen geht nie aus sich heraus oder fast nie; aber wenn es das tut, dann jagt es dem Tonal einen Schrecken ein. Heute morgen geriet dein Tonal in Panik und fing von selbst an zu schrumpfen, und dann übernahm dein Nagual die Führung. Ich mußte mir von einem der Fotografen im Park einen Wassereimer borgen, um dein Nagual wie einen Hund auf seinen Platz zurückzuscheuchen. Das Tonal muß um jeden Preis geschützt werden. Man muß ihm das Zepter entreißen, aber es muß als behüteter Hüter bleiben. Jegliche Bedrohung des Tonal führt stets zu seinem Tod. Und wenn das Tonal stirbt, dann stirbt der ganze Mensch. Wegen der ihm eigenen Schwäche kann das Tonal leicht vernichtet werden, und daher ist es die ausgleichende Kunst des Kriegers, das Nagual auftauchen zu lassen, damit es das Tonal stützt. Ich sage, es ist eine Kunst, denn die Zauberer wissen, daß das Nagual nur auftauchen kann, wenn das Tonal verstärkt wird. Siehst du, was ich meine? Diese Verstärkung nennt man persönliche Kraft.« Don Juan stand auf, reckte die Arme und krümmte den Rücken. Ich machte Anstalten ebenfalls aufzustehen, aber er drückte mich sanft auf die Bank zurück. »Du mußt bis zur Dämmerung auf dieser Bank bleiben«, sagte er. »Ich muß gleich gehen. Genaro erwartet mich in den Bergen. Komm also in drei Tagen zu seinem Haus, dort werden wir uns treffen!«
    »Was werden wir bei Don Genaro tun?« fragte ich. »Das hängt davon ab. ob du genug Kraft hast«, sagte er. »Vielleicht zeigt Genaro dir das Nagual.« Da war noch etwas, das ich hier und jetzt äußern mußte. Ich mußte wissen, ob sein Anzug nur ein schockierendes Requisit eigens für mich war oder ob er wirklich zu seinem Leben gehörte. Nie hatte eine seiner Handlungen mir so zu schaffen gemacht wie sein Erscheinen in einem Anzug. Nicht der Umstand als solcher brachte mich so durcheinander, sondern die Tatsache, daß Don Juan elegant war. Seine Beine hatten eine jugendliche Elastizität. Es war. als ob die Schuhe, die er trug, seinen Körperschwerpunkt verlagert hätten; seine Schritte waren länger und fester als gewöhnlich. »Trägst du immer einen Anzug?« fragte ich. »Ja«, antwortete er mit gewinnendem Lächeln. »Ich habe noch mehrere von der Sorte, aber ich wollte heute keinen anderen anziehen, weil dich das nur noch mehr erschreckt hätte.« Ich wußte nicht, was ich davon halten sollte. Mir war. als sei ich am Ende meines Weges angelangt. Wenn Don Juan einen Anzug tragen und darin elegant sein konnte, dann war alles möglich.
    Er schien sich über meine Verwirrung zu belustigen und lachte.
    »Ich bin Aktionär«, sagte er geheimnisvoll, aber wie selbstverständlich, und ging davon.
    Am nächsten Morgen, Donnerstag, bat ich einen Freund, mit mir von dem Luftfahrtbüro, wo Don Juan mich durch die Tür gestoßen hatte, bis zum Lagunilla-Markt zu gehen. Wir nahmen den direktesten Weg. Wir brauchten dazu fünfunddreißig Minuten. Dort angelangt, versuchte ich mich zu orientieren. Es gelang mir nicht. Ich betrat ein Konfektionsgeschäft gleich an der Ecke der breiten Allee, auf der wir standen. »Entschuldigen Sie bitte«, sagte ich zu einer jungen Frau, die bedächtig einen Hut mit der Kleiderbürste abstaubte. »Wo sind die Stände mit den alten Münzen und antiquarischen Büchern?«
    »Haben wir nicht«, sagte sie mürrisch.
    »Aber ich habe sie doch gesehen, gestern, irgendwo auf diesem Marktplatz.«
    »Quatschen Sie nicht rum!« sagte sie und verschwand hinter der Ladentheke.
    Ich rannte ihr nach und beschwor sie, mir zu sagen, wo die Stände seien. Sie musterte mich von oben bis unten. »Gestern konnten Sie sie gar nicht gesehen haben«, sagte sie. »Diese Stände werden nur am Sonntag aufgebaut, gleich hier an der Mauer. Den Rest der Woche gibt es keine.«
    »Nur am Sonntag?« wiederholte ich mechanisch. »Ja. Nur am Sonntag. So ist es. Den Rest der Woche würden sie den Verkehr stören.« Sie deutete auf den Boulevard, auf dem die Autos sich stauten.

In der Zeit des Nagual
    Ich rannte den Abhang vor Don Genaros Haus hinauf und

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