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Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten

Titel: Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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gemacht hatte. Don Juan flüsterte mir ins Ohr. ich solle nicht starr auf Don Genaro blicken. Ich hörte ihn sagen: »Blinzle, blinzle!« Ich zögerte einen Moment. Wieder befahl Don Juan es mir. Ich war davon überzeugt, daß die ganze Angelegenheit irgendwie mit mir als Betrachter in Verbindung stand und daß Don Genaro, falls ich. der einzige Zeuge seiner Tat, wegschauen sollte, herunterfallen - oder die ganze Szene sogar verschwinden würde.
    Nach einer unerträglich langen Pause der Reglosigkeit drehte sich Don Genaro auf den Fersen um fünfundvierzig Grad nach rechts und fing an, den Baumstamm hinaufzugehen. Sein Körper bebte. Ich sah. wie er ein Schrittchen nach dem anderen machte, bis er acht zurückgelegt hatte. Er wich sogar einem Ast aus. Dann, immer noch mit über der Brust verschränkten Armen, setzt er sich mit dem Rücken zu mir auf den Stamm. Seine Füße baumelten in der Luft, als ob er auf einem Stuhl säße, als ob die Schwerkraft keine Wirkung auf ihn hätte. Dann rutschte er irgendwie auf dem Gesäß abwärts. Er erreichte einen Ast. der parallel zu seinem Körper herausragte, und lehnte sich ein paar Sekunden mit dem linken Arm und dem Kopf dagegen. Dies tat er offenbar mehr wegen der dramatischen Wirkung, als um sich zu stützen. Dann rutschte er auf dem Gesäß weiter. Zentimeter für Zentimeter vom Stamm auf den Ast. bis er seine Stellung gewechselt hatte und nun dort saß. wie man wohl normalerweise auf einem Ast sitzen würde.
    Don Juan kicherte. Ich hatte einen scheußlichen Geschmack im Mund. Ich wollte mich nach Don Juan umdrehen, der zu meiner Rechten knapp hinter mir stand, aber ich wagte nicht, eine von Don Genaros Taten zu versäumen. Eine Weile ließ er die Füße baumeln, dann schlug er sie übereinander und wippte ein wenig, schließlich glitt er wieder auf den Stamm hinauf. Don Juan nahm behutsam meinen Kopf in beide Hände und bog meinen Hals nach links, bis mein Gesichtswinkel parallel statt senkrecht zu dem Baum verlief. Wenn ich Don Genaro aus dieser Perspektive sah, schien er nicht mehr der Schwerkraft zu trotzen. Er saß einfach auf einem Baumstamm. Dann stellte ich fest, daß, wenn ich starr geradeaus blickte und nicht blinzelte, der Hintergrund verschwamm und Don Genaros Körper sich um so klarer abzeichnete; seine Gestalt trat in den Vordergrund, als ob nichts anderes existierte. Nun glitt Don Genaro rasch auf den Ast zurück. Er hockte mit baumelnden Füßen wie auf einem Trapez. Wenn ich ihn aus dieser verzerrten Perspektive sah. dann erschienen beide Stellungen möglich, besonders das Sitzen auf dem Baumstamm. Don Juan beugte nun meinen Kopf nach rechts, bis er auf meiner Schulter ruhte. Don Genaros Haltung auf dem Ast erschien mir völlig normal, aber als er wieder auf den Stamm rutschte, konnte ich meine Wahrnehmung nicht entsprechend anpassen und sah ihn. als säße er verkehrt herum, mit dem Kopf nach unten.
    Don Genaro bewegte sich etliche Male vor und zurück, und jedesmal, wenn Don Genaro sich bewegte, bog Don Juan meinen Kopf nach der anderen Seite. Die Folge dieser beiden Verschiebungen war. daß ich meine normale Perspektive völlig verlor, und ohne diese waren Don Genaros Taten weniger erschreckend.
    Nun blieb Don Genaro längere Zeit auf dem Ast sitzen. Don Juan richtete meinen Kopf gerade und flüsterte mir zu. Don Genaro sei im Begriff herunterzukommen. Ich hörte, wie er eindringlich flüsterte: »Nach unten pressen, nach unten!« Ich war mitten im schnellen Ausatmen, als Don Genaros Körper sich unter einer Art Spannung zu versteifen schien. Er leuchtete auf. dann erschlaffte er. schwang rückwärts und hing einen Augenblick mit den Kniekehlen am Ast. Seine Beine schienen aber so kraftlos zu sein, daß er sie nicht abgebeugt halten konnte, und er fiel herab.
    In der Sekunde, als sein Sturz begann, hatte auch ich das Gefühl, durch den leeren Raum zu stürzen. Mein ganzer Körper empfand einen quälenden, gleichzeitig aber sehr angenehmen Schmerz, einen Schmerz von solcher Heftigkeit und Dauer, daß meine Beine nicht mehr mein Gewicht zu tragen vermochten und ich auf die weiche Erde fiel. Ich konnte kaum die Arme bewegen, um meinen Sturz abzufangen. Ich atmete so heftig, daß ein wenig Sand in meine Nase geriet und ein Jucken verursachte. Ich versuchte aufzustehen: meine Muskeln schienen alle Kraft verloren zu haben. Don Juan und Don Genaro kamen und beugten sich über mich. Ich hörte ihre Stimmen, als ob sie in einiger Entfernung von mir wären, und

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