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Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten

Titel: Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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hätten.
    Don Juan lehnte sich mit dem Rücken gegen einen Baum und forderte mich auf, es ihm gleichzutun - an einem Baum, etwa zwei Meter zu seiner Linken. So standen wir beide Don Genaro gegenüber, der ungefähr drei bis vier Meter vor uns stand.
    Mit einem fast unmerklichen Augenwink bedeutete Don Juan mir, ich solle meine Füße in eine andere Lage bringen. Er stand mit leicht gespreizten Beinen fest am Boden und berührte den Baumstamm nur mit dem oberen Teil seiner Schulterblätter und mit dem Hinterkopf. Seine Arme hingen seitlich herab.
    So standen wir etwa eine Stunde. Ich gab scharf acht auf die beiden, besonders auf Don Juan. In einem bestimmten Augenblick glitt er langsam am Baumstamm hinunter und setzte sich, wobei die gleichen Stellen seines Körpers immer noch mit dem Baum in Berührung blieben. Seine Knie ragten in die Höhe, und er stützte seine Arme darauf. Meine Beine waren inzwischen fast eingeschlafen, und der Stellungswechsel tat mir sehr gut.
    Nach und nach hatten die Krähen aufgehört zu krächzen, bis man über dem Feld kein Geräusch mehr hörte. Die Stille entnervte mich mehr als das Spektakel der Krähen. Don Juan sprach mich leise an. Er sagte, die Dämmerung sei meine beste Stunde. Er blickte zum Himmel auf. Es mochte nach sechs Uhr sein. Es war ein bewölkter Tag, und ich hatte keine Gelegenheit, den Stand der Sonne festzustellen. Aus der Ferne hörte ich Stimmen von Gänsen und vielleicht Truthähnen. Aber hier auf dem Feld unter den Eukalyptusbäumen gab es keinen Laut. Lange hatten wir weder Vogelgezwitscher noch die Geräusche größerer Insekten gehört. Don Juan und Don Genaro hielten ihren Körper, soviel ich sah, in vollkommener Reglosigkeit, abgesehen von einigen Sekunden, da sie ihr Gewicht verlagerten, um sich zu entspannen. Nachdem Don Juan und ich zu Boden geglitten waren, machte Don Genaro eine unverhoffte Bewegung. Er zog die Beine an und hockte sich auf den Baumstumpf. Dann drehte er sich um fünfundvierzig Grad, so daß ich sein linkes Profil sah. In Erwartung eines Stichworts blickte ich zu Don Juan. Er hob das Kinn. Es war eine Aufforderung, Don Genaro anzusehen. Allmählich befiel mich eine ungeheure Erregung. Ich konnte mich nicht beherrschen. Meine Eingeweide gerieten durcheinander. Ich konnte genau nachempfinden, was Pablito gefühlt haben mochte, als er Don Juans Sombrero sah. Meine Eingeweide waren in solchem Aufruhr, daß ich aufstehen und ins Gebüsch rennen mußte. Hinter mir hörte ich ihr brüllendes Gelächter.
    Ich wagte nicht, zu ihnen zurückzukehren. Lange zögerte ich; ich machte mir klar, daß ich durch meinen plötzlichen Ausbruch den Bann gebrochen haben mußte. Ich brauchte aber nicht lange zu grübeln: Don Juan und Don Genaro kamen zu mir herüber. Sie nahmen mich in die Mitte, und wir gingen zu einem anderen Feld. Dort blieben wir genau auf der Mitte stehen, und ich erkannte, daß wir hier schon am Vormittag gewesen waren.
    Don Juan wandte sich an mich. Er sagte, ich müsse beweglich und still sein und solle meinen inneren Dialog abstellen. Ich hörte aufmerksam zu. Don Genaro mußte wohl erkannt haben, daß meine ganze Aufmerksamkeit Don Juans Ermahnungen galt, denn er nutzte den Augenblick, um dasselbe zu tun wie in der Frühe; wieder stieß er seinen entsetzlichen Schrei aus. Er überraschte mich - aber diesmal nicht ganz unvorbereitet. Beinahe sofort gewann ich durch meine Atemübung mein Gleichgewicht wieder. Es war ein furchtbarer Schock, und doch hatte er keine längere Wirkung auf mich, und so konnte ich Don Genaros Bewegungen mit den Augen folgen. Ich sah, wie er auf den untersten Ast eines Baumes sprang. Während ich ihn aus einer Entfernung von fünfundzwanzig bis dreißig Metern verfolgte, fielen meine Augen einer ungewöhnlichen optischen Täuschung zum Opfer. Es war nicht so, als sei er mit Hilfe der Sprungkraft seiner Muskeln gehüpft, vielmehr glitt er durch die Luft, teilweise emporegeschnellt durch seinen unheimlichen Schrei, und teilweise von irgendwelchen undeutlich erkennbaren Linien gezogen, die von dem Baum ausgingen. Es war so, als habe der Baum ihn durch diese Linien angesaugt. Don Genaro blieb eine Weile auf dem niedrigen Ast hocken. Er wandte mir sein linkes Profil zu. Nun vollführte er eine Reihe seltsamer Bewegungen. Sein Kopf wackelte, sein Körper zitterte. Mehrmals verbarg er den Kopf zwischen den Knien. Je mehr er sich bewegte und aufbäumte, desto schwerer fiel es mir, meinen Blick auf seinen Körper zu

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