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Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten

Titel: Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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es geschehe aus Besorgnis. Dann wechselte er abrupt das Thema und forderte mich auf, ihm in allen Einzelheiten zu schildern, was ich am Vormittag erlebt hatte. »Ein plötzlicher Schreck läßt das Tonal stets schrumpfen«, lautete sein Kommentar zu meinem Bericht, wie ich mich gefühlt hatte, als Genaro schrie. »Dabei besteht aber das Problem, das Tonal nicht so weit schrumpfen zu lassen, daß es verschwindet. Es ist eine ernste Sache für den Krieger, genau zu wissen, wann er sein Tonal schrumpfen lassen darf und wann er dem Einhalt gebieten muß. Dies ist eine große Kunst. Ein Krieger muß kämpfen wie der Teufel, um sein Tonal schrumpfen zu lassen, und doch muß der Krieger in dem Moment, da das Tonal schrumpft, diesen ganzen Kampf umkehren, um das Schrumpfen sofort zu bremsen.«
    »Aber kehrt er damit nicht zum Ausgangspunkt zurück?« fragte ich. »Nein. Sobald das Tonal geschrumpft ist, schließt der Krieger von der anderen Seite die Pforte. Solange sein Tonal nicht bedroht ist und seine Augen nur auf die Welt des Tonal eingestimmt sind, befindet der Krieger sich auf der sicheren Seite des Gatters. Er ist auf vertrautem Gelände und kennt alle Regeln. Aber sobald sein Tonal schrumpft, steht er auf der stürmischen Seite, und diese Öffnung muß sofort fest geschlossen werden, sonst würde er augenblicklich hinweggefegt. Und dies ist nicht bloß eine bildliche Redeweise. Jenseits der Pforte, die die Augen des Tonal bilden, tobt der Sturm. Ich meine einen wirklichen Sturm, keine Metapher. Ein Wind, der jemandes Leben ausblasen kann. Wirklich, das ist der Wind, der alle Lebewesen auf dieser Welt umherweht. Vor Jahren einmal habe ich dich mit diesem Wind bekannt gemacht. Aber du hast es damals als Witz aufgefaßt.« Er spielte auf eine Gelegenheit an, als er mich ins Gebirge mitgenommen hatte und mir gewisse Eigenschaften des Windes erklärte. Ich hatte es jedoch nie als Witz aufgefaßt. »Es kommt nicht darauf an, ob du es ernst genommen hast oder nicht«, sagte er, nachdem er sich meinen Protest angehört hatte. »Als Regel gilt, daß das 7"o«a/sich, immer wenn es bedroht ist, um jeden Preis verteidigen muß. Daher ist es eigentlich bedeutungslos, wie das Tonal reagiert, um seine Verteidigung zu bewerkstelligen. Das einzig Wichtige ist, daß das Tonal eines Kriegers mit anderen Alternativen bekannt gemacht werden muß. Worauf es einem Lehrer in diesem Fall ankommt, das ist das absolute Gewicht dieser Möglichkeiten. Denn das Gewicht dieser neuen Möglichkeiten ist es, das hilft, das Tonal schrumpfen zu lassen. Aus demselben Grund ist es ebendieses Gewicht, das einem hilft, das Tonal daran zu hindern, zu schrumpfen, bis es verschwindet. Er forderte mich auf, mit meinem Bericht über die Ereignisse des Vormittags fortzufahren, dann aber unterbrach er mich, als ich zu der Stelle kam, wo Don Genaro zwischen dem Baumstamm und dem Ast hin- und hergerutscht war. »Das Nagual kann außerordentliche Dinge vollbringen«, sagte er. »Dinge, die nicht möglich erscheinen, Dinge, die für das Tonal unvorstellbar sind. Aber das Außerordentliche daran ist, daß derjenige, der diese Dinge tut, niemals wissen kann, wie sie geschehen. Mit anderen Worten, Genaro weiß nicht, wie er es macht, er weiß nur, daß er es macht. Das Geheimnis eines Zauberers ist, daß er weiß, wie er zum Nagual gelangen kann, aber sobald er dort ist, kann er, genau wie du, bloß raten, was eigentlich geschieht.«
    »Aber wie fühlt man sich, während man solche Dinge tut?«
    »Man fühlt sich ebenso, wie wenn man irgend etwas tut.«
    »Meinst du, Don Genaro fühlt sich wie einer, der einen Baumstamm hinauf läuft?« Don Juan sah mich eine Weile an, dann wandte er den Kopf ab. »Nein«, flüsterte er eindringlich. »Nicht auf die Art, wie du es meinst.«
    Er sagte nichts mehr. Ich hielt buchstäblich den Atem an und wartete auf seine Erklärung. Schließlich mußte ich die Frage stellen: »Aber was fühlt er nun?«
    »Ich kann es nicht sagen, nicht weil es eine persönliche Angelegenheit wäre, sondern weil es unmöglich ist, das zu beschreiben.«
    »Ach, komm!« bedrängte ich ihn. »Es gibt nichts, was man nicht mit Worten erklären könnte. Ich glaube, sogar wenn es unmöglich ist, etwas direkt zu beschreiben, kann man es doch umschreiben, irgendwie auf den Busch klopfen.« Don Juan lachte. Sein Lachen war sanft und freundlich. Und doch enthielt es einen Anflug von Spott und schierer Bosheit. »Ich muß das Thema wechseln«, sagte er. »Begnüge

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