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Don Juan 05 - Der zweite Ring der Kraft

Don Juan 05 - Der zweite Ring der Kraft

Titel: Don Juan 05 - Der zweite Ring der Kraft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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la Gorda meinte, und bat sie um eine Erklärung. »Wir sind Gaffer«, sagte sie.
    »Genau wie du. Wir alle sind gleich. Es hat keinen Zweck zu leugnen, daß du ein Gaffer bist. Der Nagual hat mir erzählt, welche Großtaten du im Gaffen vollbracht hast.«
    »Großtaten ... im Gaffen! Was redest du da, Gorda?«
    Sie verzog den Mund, fast schien sie durch meine Frage beleidigt. Dann aber fing sie sich wieder. Sie lächelte und gab mir einen leichten Schubs.
    Im gleichen Moment lief ein kurzes Beben durch ihren Körper. Sie starrte an mir vorbei ins Leere, dann schüttelte sie heftig den Kopf. Sie sagte, sie habe soeben >gesehen<, daß die Genaros gar nicht kämen; es sei noch zu früh für sie. Sie wollten noch eine Weile warten, bevor sie auftauchten. La Gorda lächelte, als ob sie mit dieser Verzögerung zufrieden sei.
    »Für uns war's ohnehin zu früh, wenn sie jetzt kämen«, sagte sie. »Und ihnen geht es mit uns genauso.«
    »Wo sind sie jetzt?« fragte ich.
    »Wahrscheinlich hocken sie irgendwo am Straßenrand«, erwiderte sie.
    »Ganz sicher hat Benigno unterwegs zu unserm Haus gegafft und uns hier sitzen sehen. Darum haben sie wohl beschlossen zu warten. Das ist gut. Das gibt uns noch etwas Zeit.«
    »Du machst mir Angst, Gorda. Wozu brauchen wir Zeit?«
    »Du mußt heute deine zweite Aufmerksamkeit abrunden - nur für uns vier.«
    »Wie soll ich das machen?«
    »Ich weiß nicht. Du bist für uns ein Rätsel. Der Nagual hat durch seine Kraftpflanzen irgend etwas mit dir angestellt, aber du kannst dies nicht als Wissen beanspruchen. Das ist's ja, was ich dir die ganze Zeit sagen wollte. Nur wenn du deine zweite Aufmerksamkeit zu beherrschen lernst, kannst du etwas damit anfangen, sonst bleibst du immer halbwegs zwischen beiden fixiert, wie du es jetzt bist. Alles, was dir seit deiner Ankunft widerfahren ist, hat den Zweck gehabt, diese Aufmerksamkeit herumzuwirbeln. Ich habe dir nach und nach die entsprechenden Anweisungen gegeben, wie der Nagual es mir auftrug. Da du einen anderen Weg gegangen bist, weißt du nichts von den Dingen, die wir wissen, wie auch wir nichts von den Kraftpflanzen wissen. Soledad weiß ein bißchen mehr, weil der Nagual sie in seine Heimat mitgenommen hat. Nestor weiß etwas über Heilpflanzen, aber keiner von uns wurde so umfassend unterwiesen wie du. Heute brauchen wir dein Wissen noch nicht. Eines Tages aber, wenn wir bereit sind, wirst du derjenige sein, der weiß, was geschehen muß, um uns mit Hilfe der Kraftpflanzen einen letzten Schwung zu geben. Ich bin die einzige, die weiß, wo die Pfeife des Nagual versteckt liegt; sie wartet auf diesen Tag.
    Der Befehl des Nagual lautet, daß du deinen Weg ändern und mit uns gehen mußt. Das bedeutet, daß du dich mit uns im Träumen und mit den Genaros im Pirschen üben mußt. Du kannst es dir nicht leisten, noch länger dort zu bleiben, wo du bist - auf der häßlichen Seite deiner zweiten Aufmerksamkeit. Noch ein Schock deines Nagual, das aus dir hervorkommt, und du könntest tot sein. Der Nagual hat mir gesagt, daß die Menschen zerbrechliche Geschöpfe sind, zusammengefügt aus vielen leuchtenden Schichten. Wenn du sie siehst, dann scheint es, als hätten sie Fasern, aber diese Fasern sind in Wirklichkeit Schichten, wie bei einer Zwiebel. Solche Schocks können diese Schichten voneinander trennen und den Menschen sogar töten.« Sie stand auf und führte mich in die Küche. Wir setzten uns. Lidia, Rosa und Josefina beschäftigten sich draußen auf dem Hof. Ich konnte sie nicht sehen, aber ich hörte sie sprechen und lachen. »Der Nagual hat gesagt, daß wir sterben, weil unsere Schichten getrennt werden«, sagte la Gorda. »Solche Schocks trennen die Schichten immer, aber sie wachsen wieder zusammen. Manchmal aber ist der Schock so stark, daß die Schichten sich lösen und nicht wieder zusammenwachsen. »Hast du diese Schichten schon mal gesehen, Gorda?«
    »Sicher. Ich sah einen Mann auf der Straße sterben. Der Nagual hat mir erzählt, daß auch du einmal einen sterbenden Mann sahst, aber du sahst nicht seinen Tod. Der Nagual half mir, die Schichten des sterbenden Mannes zu sehen. Sie waren wie die Schalen einer Zwiebel. Wenn ein Mensch gesund ist, dann sieht er aus wie ein leuchtendes Ei. Aber wenn er verletzt ist, fängt er an sich zu schälen, wie eine Zwiebel.
    Der Nagual hat mir gesagt, daß deine zweite Aufmerksamkeit manchmal so stark war, daß sie ganz herausdrängte. Er und Genaro mußten deine Schichten zusammenhalten;

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