Don Juan 05 - Der zweite Ring der Kraft
könnten.
Wir schwiegen. Für mich war es Zeit aufzubrechen, aber ich konnte mich nicht bewegen. Der Gedanke an Eligios Schicksal lahmte mich. Ob es ihm gelungen war, die Kuppel zu erreichen, wo wir uns treffen sollten, oder ob er noch immer im Unsagbaren gefangen war - der bloße Gedanke an diese Reise machte mich krank. Es fiel mir nicht schwer, sie mir vorzustellen; ich hatte ja die Erfahrung meiner eigenen Reise.
Die andere Welt, auf die Don Juan mich praktisch seit Anbeginn unsrer Bekanntschaft hingewiesen hatte, war mir stets als Metapher erschienen, als verschwommene Bezeichnung für eine Art Wahrnehmungsstörung, bestenfalls aber als Anspielung auf irgendeinen undefinierbaren Seinszustand. Und obwohl Don Juan mich unbeschreibliche Bilder der Welt hatte sehen lassen, konnte ich meine Erlebnisse nicht anders begreifen denn als Vexierspiel meiner Wahrnehmung, als eine Art geleitete Wahntäuschung, die er in mir hatte hervorrufen können - sei es durch psychotrope Pflanzen oder durch Mittel, die ich rational nicht mehr erfassen konnte. Jedesmal wenn dies geschah, hatte ich bei der Vorstellung Zuflucht gesucht, daß die Einheit des >Ich<, das ich kannte und das mir vertraut war, nur eine zeitweilige Auflösung erfahren hatte. Und sobald diese Einheit wiederhergestellt war, wurde die Welt unvermeidlich wieder zur Heimstatt meines unverletzlichen rationalen Selbst. Der Ausblick aber, den la Gorda mir mit ihren Offenbarungen eröffnet hatte, war beängstigend. Sie stand auf und zog mich von meiner Bank hoch. Sie sagte, ich müsse aufbrechen, bevor es dämmerte. Alle begleiteten sie mich zum Auto, und dann sagten wir einander Lebewohl. La Gorda gab mir einen letzten Auftrag. Sie sagte, bei meiner Rückkehr müsse ich direkt zum Haus der Genaros fahren. »Wir wollen dich nicht Wiedersehen, bis du weißt, was du zu tun hast«, sagte sie mit strahlendem Lächeln. »Aber bleib nicht zu lange.« Die Schwesterchen nickten.
»Diese Berge hier werden uns nicht viel länger dulden«, sagte sie und wies mit kaum wahrnehmbarem Kopfnicken zu den zerklüfteten, unheimlichen Hügeln jenseits des Tales. Ich stellte ihr noch eine letzte Frage. Ich wollte wissen, ob sie eine Ahnung habe, wohin der Nagual und Genaro nach unserem glücklichen Wiedersehen gehen würden.
Sie blickte zum Himmel, hob die Arme und machte eine unnachahmliche Gebärde, die sagen wollte: die unermeßliche Weite dort ist grenzenlos.
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