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Don Juan 05 - Der zweite Ring der Kraft

Don Juan 05 - Der zweite Ring der Kraft

Titel: Don Juan 05 - Der zweite Ring der Kraft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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heften, die er angafft. So könne er große Entfernungen zurücklegen und auf den Wolken reiten. Was die Wolken betraf, so erlaubte der Nagual ihnen nie, Gewitterwolken anzugaffen. Er sagte, sie müßten zuerst formlos werden, bevor sie sich darauf einlassen dürften. Dann aber könnten sie nicht nur auf einer Gewitterwolke, sondern sogar auf dem Blitz reiten.

La Gorda lachte und meinte, ich solle mal raten, wer wohl verrückt und verwegen genug wäre, es zu wagen und Gewitterwolken anzugaffen. Niemand sonst als Josefina, meinte ich. La Gorda erzählte, daß Josefina — immer wenn der Nagual fort war - Gewitterwolken angegafft habe, bis sie eines Tages beinah vom Blitz erschlagen wurde.
    »Genaro war ein Blitz-Zauberer«, fuhr sie fort. »Seine ersten beiden Lehrlinge, Benigno und Nestor, waren ihm von seinem Freund, dem Donner, gezeigt worden. Damals, so erzählte er, suchte er nach Heilpflanzen, und zwar in einer sehr entlegenen Gegend, wo die Indianer zurückgezogen leben und keine fremden Besucher wünschen. Genaro hatten sie die Erlaubnis gegeben, sich in ihrem Land aufzuhalten. Während Genaro also seine Pflanzen sammelte, fing es an zu regnen. In der Nähe gab es zwar ein paar Häuser, aber die Leute dort waren feindselig, und er wollte sie nicht belästigen. Er wollte gerade in einer Höhle Schutz suchen, als er einen jungen Mann sah, der auf einem schwer bepackten Fahrrad die Straße entlang fuhr. Es war Benigno, ein Mann aus der Stadt, der mit diesen Indianern Handel trieb. Sein Fahrrad blieb im Schlamm stecken, und genau dort, an dieser Stelle, traf ihn der Blitz. Genaro glaubte schon, er sei erschlagen worden. Die Leute in den Häusern hatten den Vorfall beobachtet und kamen herbeigelaufen. Benigno war mehr erschrocken als verletzt, doch seine Waren und sein Fahrrad waren hin. Genaro blieb eine Woche bei ihm und heilte ihn.
    Mit Nestor war es beinah genauso. Er kaufte immer Heilpflanzen von Genaro, und eines Tages folgte er ihm in die Berge; er wollte sehen, wo Genaro seine Pflanzen holte, damit er nicht mehr dafür bezahlen müßte. Genaro ging absichtlich sehr weit ins Gebirge; er hatte die Absicht, Nestor in die Irre zu führen. Es regnete nicht, aber am Himmel hingen Gewitterwolken, und plötzlich schlug ein Blitz in die Erde und zischte wie eine Schlange über den Boden. Er schoß direkt zwischen Nestors Beinen hindurch und schlug zehn Meter entfernt in einen Stein.
    Der Blitz, so sagte Genaro, hatte Nestors Beine innen versengt. Seine Hoden waren geschwollen, und er wurde sehr krank. Genaro mußte ihn dort in den Bergen eine Woche lang pflegen. Als Benigno und Nestor geheilt waren, da waren sie auch gefangen. Männer müssen gefangen werden. Frauen brauchen das nicht. Frauen kommen frei zu allen Dingen. Das ist ihre Kraft, gleichzeitig aber auch ihr Nachteil. Männer müssen geführt werden, und Frauen müssen gezügelt werden.« Sie kicherte und meinte, in ihr steckte wohl ein guter Teil Männlichkeit, denn sie müsse geführt werden. In mir aber stecke eine Menge Weiblichkeit, denn ich müsse gebändigt werden. Die letzte Reihe von Übungen war das Angaffen von Feuer, Rauch und Schatten. Für einen Gaffer, sagte sie, sei das Feuer nicht hell, sondern schwarz, und dies gelte auch für den Rauch. Schatten hingegen leuchteten und hätten Farbe und Bewegung.
    Und dann gab es noch zwei Dinge, die gut unterschieden werden mußten: das Sterne- und das Wasser-Gaffen. Sterne-Gaffen, sagte sie, sei etwas für Zauberer, die ihre menschliche Form schon verloren haben. Sie selbst sei schon recht gut im Sterne-Gaffen; schwerer falle es ihr, Wasser anzugaffen, besonders fließendes Wasser, das formlose Zauberer nutzten, um ihre zweite Aufmerksamkeit zu sammeln und sich durch sie an jeden beliebigen Ort transportieren zu lassen.
    »Wir alle fürchten uns vor dem Wasser«, fuhr sie fort. »Ein Fluß sammelt die zweite Aufmerksamkeit und nimmt sie mit sich fort; und es ist unmöglich, ihn aufzuhalten. Der Nagual hat mir von deinen Leistungen beim Wasser-Gaffen erzählt. Aber er sagte auch, daß du dich einmal im Wasser eines seichten Baches beinah aufgelöst hättest und daß du jetzt nicht einmal mehr ein Bad nehmen kannst.«
    Don Juan hatte mich viele Male, wenn ich unter dem Einfluß seiner Rauchmixtur stand, auf das Wasser eines Bewässerungsgrabens hinter seinem Haus starren lassen. Dabei hatte ich unglaubliche Dinge erlebt. Einmal sah ich mich selbst ganz grün, als sei ich von Algen überzogen. Danach

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