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Don Juan 05 - Der zweite Ring der Kraft

Don Juan 05 - Der zweite Ring der Kraft

Titel: Don Juan 05 - Der zweite Ring der Kraft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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makellosen Lebens, so sagte der Nagual, erreicht man einen Punkt, wo die Form es nicht länger aushält und einen verläßt, genau wie sie mich verlassen hat. Natürlich verletzt sie dabei den Körper und kann einen sogar töten, aber ein makelloser Krieger überlebt immer.«
    Ein unverhofftes Klopfen an der Tür unterbrach sie. La Gorda stand auf und schob den Riegel zurück. Es war Lidia. Sie begrüßte mich sehr förmlich und bat la Gorda, mit ihr hinauszugehen. Sie gingen zusammen fort.
    Ich war froh, allein zu sein. Ein paar Stunden arbeitete ich an meinen Notizen. Die Eßecke im Freien war angenehm kühl und hell.
    Gegen Mittag kehrte la Gorda zurück. Sie fragte mich, ob ich etwas essen wolle. Ich war nicht hungrig, aber sie bestand darauf, daß ich etwas zu mir nähme. Sie sagte, daß der Kontakt mit den Verbündeten sehr kraftraubend sei und daß sie selbst sich sehr schwach fühle.
    Nach dem Essen setzte ich mich neben la Gorda und schickte mich an, sie nach dem >Träumen< auszufragen, als die Haustür laut aufschlug und Pablito hereinkam. Er keuchte atemlos. Offenbar war er den ganzen Weg her gerannt und befand sich in einem Zustand starker Erregung. Er blieb einen Moment in der Tür stehen und verschnaufte. Er hatte sich nicht sehr verändert. Er wirkte etwas älter oder schwerer oder vielleicht nur muskulöser. Trotzdem war er immer noch sehr schlank und drahtig. Sein Gesicht war blaß, als sei er lange nicht an der Sonne gewesen. Der intensive Blick seiner braunen Augen wurde durch einen Anflug von Müdigkeit in seinem Gesicht noch unterstrichen. Ich erinnerte mich daran, daß Pablito immer ein so gewinnendes Lächeln gehabt hatte; als er jetzt vor mir stand und mich anschaute, war sein Lächeln so bezaubernd wie je. Er kam auf mich zu gerannt und packte mich wortlos an den Armen. Ich stand auf. Er schüttelte mich sanft und umarmte mich. Ich freute mich sehr, ihn zu sehen. In kindlicher Ausgelassenheit tanzte ich mit ihm umher. Ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Schließlich brach er das Schweigen.
    »Maestro«, sagte er leise und deutete mit leichtem Kopfnicken eine Verbeugung an.
    Der Titel >Maestro<, Lehrer, überraschte mich. Ich drehte mich, als ob ich nach jemandem suchte, der hinter mir stand. Ich übertrieb diese Geste absichtlich, um ihm zu verstehen zu geben, daß ich verwundert war. Er lächelte, und mir fiel nichts andres ein, als ihn zu fragen, woher er wußte, daß ich da sei. Er sagte, daß Nestor, Benigno und er eine ganz seltsame Ahnung gehabt hätten, die sie umzukehren gezwungen habe. Sie seien Tag und Nacht ohne Rast gelaufen. Nestor sei zu ihnen nach Hause gegangen, um nachzusehen, ob es dort etwas gab, das dieses merkwürdige Gefühl, das sie befallen hatte, erklären konnte. Benigno sei zu Soledad gelaufen und er selbst sei hierher, zum Haus der Mädchen gekommen.
    »Du hast ins Schwarze getroffen, Pablito«, sagte la Gorda lachend. Pablito antwortete nicht. Er starrte sie finster an. »Ich wette, du überlegst schon, wie du mich rauswerfen kannst«, sagte er mit kaum verhohlener Wut. »Streite nicht mit mir, Pablito«, sagte la Gorda ungerührt. Pablito wandte sich wieder zu mir und entschuldigte sich. Mit sehr lauter Stimme - so als wollte er, daß noch ein andrer im Haus mithöre - erklärte er, er habe seinen eigenen Stuhl mitgebracht, und den könne er hinstellen wo es ihm beliebe. »Hier ist sonst niemand außer uns«, sagte la Gorda leise und kicherte.
    »Jedenfalls werde ich meinen Stuhl hereinbringen«, sagte Pablito. »Du hast doch nichts dagegen, Maestro?« La Gorda gab mir ein kaum wahrnehmbares Fußzeichen, das soviel besagte wie >Mach schon    »So sind sie immer«, sagte la Gorda. »Alle drei.« Im nächsten Moment kam Pablito zurück; er trug einen seltsam geformten Stuhl auf den Schultern. Der Stuhl war der Wölbung seines Rückens angepaßt, und wenn er ihn auf den Schultern trug, sah er aus wie ein Rucksack. »Darf ich ihn hinstellen?« fragte er mich. »Selbstverständlich«, erwiderte ich und rückte meine Bank beiseite, um ihm Platz zu machen.
    Er lachte mit übertriebener Unbefangenheit. »Du bist doch der Nagual?« fragte er mich. Dann schaute er la Gorda an und fügte hinzu: »Oder wartest du noch auf Befehle?«
    »Ich bin der Nagual«, sagte ich in scherzhaftem Ton, um auf seine Ironie einzugehen.
    Ich spürte, daß er bereit war, jeden Moment einen Streit mit la Gorda

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