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Don Juan 05 - Der zweite Ring der Kraft

Don Juan 05 - Der zweite Ring der Kraft

Titel: Don Juan 05 - Der zweite Ring der Kraft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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anzufangen; sie mußte es auch gespürt haben, denn sie entschuldigte sich und ging hinters Haus. Pablito stellte seinen Stuhl ab und umkreiste mich langsam, als wolle er meine Figur mustern. Dann griff er mit einer Hand nach seinem niedrigen, leichten Stuhl, drehte ihn herum und setzte sich rittlings drauf. Er verschränkte die Arme über der Lehne, die ihm in dieser Sitzhaltung größte Bequemlichkeit bot. Ich setzte mich ihm gegenüber. Seine Stimmung hatte sich in dem Augenblick, als la Gorda hinausging, völlig verändert.
    »Ich muß dich um Vergebung bitten, wie ich mich benommen habe«, sagte er lächelnd. »Aber ich mußte diese Hexe loswerden.«
    »Ist sie denn so schlimm, Pablito?«
    »Darauf kannst du dich verlassen«, erwiderte er. Um das Thema zu wechseln, sagte ich ihm, er sähe sehr gut und wohlhabend aus.
    »Auch die siehst sehr gut aus, Maestro«, sagte er. »Was soll dieser Unsinn, daß du mich Maestro nennst?« fragte ich in scherzhaftem Ton.
    »Die Dinge sind nicht mehr so, wie sie waren«, erwiderte er. »Wir sind jetzt in einem neuen Reich, und der Zeuge sagt, daß du jetzt der Maestro bist, und der Zeuge kann sich nicht irren. Aber er wird dir die ganze Geschichte selbst erzählen. Er wird gleich hier sein, und er wird sich freuen, dich wiederzusehen. Ich glaube, er hat inzwischen gespürt, daß du hier bist. Als wir umkehrten, hatten wir alle das Gefühl, daß du vielleicht unterwegs wärst, aber keiner von uns hat gespürt, daß du schon da bist.« Dann sagte ich ihm, daß ich nur mit der Absicht gekommen sei, ihn und Nestor zu sehen, daß sie die beiden einzigen Menschen auf der Welt seien, mit denen ich über unser letztes Zusammensein mit Don Juan und Don Genaro sprechen konnte und daß mir alles daran gelegen sei, gewisse Zweifel aufzuklären, die diese letzte Begegnung bei mir hinterlassen hatte.
    »Wir sind miteinander verbunden«, sagte er. »Ich will tun, was ich kann, um dir zu helfen. Das weißt du. Aber ich muß dich warnen, denn ich bin nicht so stark, wie du mich vielleicht haben willst. Vielleicht wäre es besser, wir würden überhaupt nicht sprechen. Andererseits werden wir, wenn wir nicht sprechen, nie etwas verstehen.«
    Nach sorgfältigster Überlegung stellte ich ihm eine Frage. Alle meine rationalen Zweifel, so erklärte ich ihm, kreisten um ein Problem:
    »Sag mir, Pablito, sind wir wirklich, ich meine körperlich, in den Abgrund gesprungen?«
    »Ich weiß nicht«, sagte er, »ich weiß es wirklich nicht.«
    »Aber du warst doch bei mir.«
    »Das ist es ja: war ich wirklich da?«
    Ich war über seine rätselhaften Antworten verärgert. Ich hatte das Gefühl, ich müsse ihn stoßen oder rütteln, um irgend etwas in ihm freizusetzen. Es war mir klar, daß er mir absichtlich etwas sehr Wichtiges vorenthielt. Protestierend beschwor ich ihn, er dürfe nicht so geheimnisvoll tun, falls uns wirklich ein Band völligen Vertrauens verbinde. Pablito schüttelte den Kopf, wie um schweigend meine Vorwürfe abzuwehren. Ich bat ihn, mir sein ganzes Erlebnis zu erzählen, angefangen bei jenem Augenblick vor dem Sprung, als Don Juan und Don Genaro uns gemeinsam auf den letzten Angriff vorbereiteten. Pablitos Bericht war wirr und zusammenhanglos. Über die letzten Sekunden vor dem Sprung wußte er nur noch, daß ihn die Kräfte verließen, gleich nachdem Don Juan und Don Genaro uns Lebewohl gesagt hatten; dann, so sagte er, sei er vornüber gefallen, ich aber hätte ihn am Arm gehalten und zum Rand des Abgrunds geschleppt, wo er ohnmächtig geworden sei. »Was geschah, nachdem du ohnmächtig wurdest, Pablito?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Hattest du Träume oder Visionen? Sahst du etwas?«
    »Soviel ich weiß, hatte ich keine Visionen. Und falls ich welche hatte, achtete ich nicht darauf. Mir fehlt es an Makellosigkeit, darum kann ich mich nicht daran erinnern.«
    »Und was geschah dann?«
    »Ich erwachte in Genaros früherem Haus. Ich weiß nicht, wie ich dort hingekommen war.«
    Er schwieg, während ich in Gedanken krampfhaft nach einer Frage, einer Bemerkung, einem kritischen Einwand oder dergleichen suchte, um ihn zu weiteren Aussagen zu veranlassen. Bislang enthielt Pablitos Bericht nichts, was geeignet gewesen wäre, meine Erlebnisse zu bestätigen. Ich fühlte mich betrogen. Fast wurde ich wütend auf ihn. Meine Gefühle waren eine Mischung aus Mitleid für Pablito, Selbstmitleid und schwerer Enttäuschung. »Es tut mir leid, daß ich so ein Reinfall für dich bin«, sagte

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