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Don Juan de la Mancha

Don Juan de la Mancha

Titel: Don Juan de la Mancha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Menasse
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ehrlich und redlich, das Image seiner Gentlemen zu verbessern. Außer, ein Gentleman wurde Objekt der Gerichtsseiten, da schwieg er und war »menschlich enttäuscht«.
    Das erste Mal. Ist es das Alter, Hannah, dass ich in letzter Zeit immer wieder an erste Male denke? Es geschah in den Osterferien. Ich war zwölf. Vater hatte mich für drei Tage nach Kitzbühel mitgenommen, weil er zu einer Prominentenhochzeit eingeladen war. Es war der dritte Abend, der letzte, den ich für einige Zeit mit meinem Vater haben sollte. Wir residierten so wie die Festgesellschaft im Hotel Tennerhof. Fünf Sterne!, sagte Vater.
    Der Himmel hat mehr. Ich wollte mich nur noch auflösen und in der Atmosphäre zerstäuben. Aber ich war so bleischwer. Ich hatte mein Lieblingsessen bekommen, ein Wiener Schnitzel, allerdings durfte ich nicht im Speisesaal am Tisch meines Vaters sitzen, sondern bekam mein Fünf-Sterne-Schnitzel im »Stüberl«. Dann saß ich im Kaminzimmer und las den Roman, den Vater mir für die Ferien geschenkt hatte: »Oliver Twist«, in einer illustrierten und gekürzten »Jugendausgabe«. Wie alles in meiner Kindheit waren auch die Romane, die ich bekam, zurechtgestutzt. Ich sah immer wieder auf, fühlte mich überfordert von der Souveränität, mit der sich Gentlemen und Ladies bewegten, Lebenslust demonstrierten und manchmal neugierige Blicke auf mich warfen, wer wohl das Kind sein mochte, das um zehn Uhr abends im Kaminzimmer saß und las. Ich hatte Angst, mich zu bewegen. Keine falsche Bewegung! Ich wollte zu meinem Vater, nein, ich wollte meinen Vater. Wenigstens einen dieser drei Abende, den letzten, ich wollte von ihm wahrgenommen werden, mit ihm reden, so »erwachsen«, wie er es mir abverlangte zu sein, wenn ich allein im »Stüberl« oder im Kaminzimmer sitzen sollte. Ich begab mich auf die Suche, das Buch vor meiner Brust. Ich fand Vater in der überfüllten und vom Festlärm vibrierenden Hotelbar. Er stand an der Theke, mit einem Glas in der Hand, sprach mit einer Frau. Er sagte etwas, die Frau lachte auf. Er war ein sehr gut aussehender Mann, attraktiver als die berühmten Männer, über die er schrieb. Ich nahm all meinen Mut zusammen und ging zu ihm hin. Papa!
    Er war irritiert.
    Ich habe noch zu tun!, sagte er. Siehst du nicht?
    Die Frau sah lächelnd auf mich hinunter. Sie hatte unglaublich lange Wimpern. Ich war beeindruckt. Ich wusste damals nicht, dass man Wimpern aufkleben konnte. Eine Frau mit solchen Wimpern, dachte ich, ist etwas Besonderes. Ich schämte mich bereits dafür, dass ich Vater gestört hatte.
    Du bist schon so groß, sagte er, du kannst, wenn du müde bist, doch allein schlafen gehen!
    Das Beispiel, das er mir gab, war aber ein anderes. Er war groß und wollte nie alleine schlafen gehen.
    Die Frau lächelte mich an. Nicht mütterlich. Warum auch. Sie war ja nicht meine Mutter. Ich war schon so groß. Ich lief weg, wusste, dass mein Vater sich jetzt für mich genierte. Weil ich nicht so selbstsicher und gewandt war wie er. Weil ich rot geworden war. Und schwitzte. Ich lief in mein Zimmer. Ging ins Bett.
    Ich haderte mit meinem Vater. Noch mehr bewunderte ich ihn. Das schaffe ich nie, dachte ich. Es war in dieser Nacht das erste Mal, dass ich im Gedanken an eine Frau an mir herumdrückte und rieb. Ich dachte an eine bestimmte, eine leibhaftige Frau: an sie, die Frau an der Seite meines Vaters. Ihre kleinen festen Brüste, wie die Bäuche von Vögeln, die aus dem Nest gefallen waren. Ihre langen Wimpern, wie schwarze Schmetterlinge. Ein trauriges Paradies. Und ich würgte die Schlange.
    9.
    Sie sind heute so heiter, Nathan!, sagte Hannah. Verliebt?
    Nein, sagte ich. Wir haben am Samstag den Aufmacher »Liebe über Internet«. Ich habe das Kontakt-Portal eHarmony getestet und 436 Fragen zu meiner Persönlichkeit beantwortet – um dann zu erfahren, dass es unter den neun Millionen Mitgliedern niemand gibt, der zu mir passt. Und zwar nicht nur in meiner Stadt oder meinem Land, sondern in der ganzen Welt.
    10.
    Mein Vater war ein ungeduldiger Mann. Er ertrug es nicht zu warten. Er drängte sich vor und sagte, wenn einer protestierte: sich so aufzuregen sei nicht »die feine englische Art«.
    Ich bekam nicht viel Zuwendung von meinem Vater, nicht mehr als ein chronisch Kranker von seinem Arzt: Die meiste Zeit verbringt man im Wartezimmer, geduldig wartend auf einen Mann, der keine Zeit hat.
    Ein Mensch kann vom Verhalten seines Vorbilds geprägt werden oder von den Situationen, in die ihn sein

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