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Don Juan de la Mancha

Don Juan de la Mancha

Titel: Don Juan de la Mancha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Menasse
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Ich will mein Alter in den Griff bekommen!
    Nathan, wir arbeiten nicht klassisch nach Freud. Aber jede Geschichte hat einen Anfang, Mittelteil und Schluss. Habe ich Kindheit gesagt? Nein! Und nach dem Schluss kommt der Ausweg.
    Ich muss also einen Schluss finden?
    Die Grenze, vor der Sie stehen. Wie sind Sie dahin gekommen? Wie ist das Leben an der Grenze?
    Eigentümlicherweise vertraute ich Frau Dr. Singer. Ich dachte, sie passte zu mir. Weil ich sie für eine Scharlatanin hielt. Weil die psychoanalytischen Begriffe, die sie verwendete, mich an New Yorker Cocktailpartys erinnerten. Und weil sie dick und herrisch war. Sie war wie meine Mutter. Mehr noch: Sie war der Inbegriff einer jüdischen Mamme. Hannah sah aus wie eine Mamme, redete wie eine Mamme, aber im radikalen Gegensatz zu einer Mamme versuchte sie nicht, mir Schuldgefühle einzuimpfen, sondern im Gegenteil, sie mir zu nehmen. Ich erzählte ihr von meinen Affären wie ein kleiner Junge, der seiner Mutter beichtet, dass er etwas angestellt habe.
    Ich fühle mich schlecht, Hannah. Ich bin ein verheirateter Mann. Glücklich verheiratet! Warum bin ich so unglücklich, wo ich doch glücklich verheiratet bin? Warum tue ich das?
    Unsere Aufgabe ist es nicht, Ihre Ehe zu retten, sondern Ihre Lust zu rekonstruieren. Was Sie an Ihrer Frau haben, wissen Sie. Aber was Sie nicht haben, können Sie nur bei anderen suchen. Das ist eine Frage der Logik und nicht der Moral!
    Natürlich hatte ich auch Zweifel an ihrer Kompetenz. So wie sie aussah, gab es keine Chance auf Übertragung – in dem Sinn, dass ich mich in sie verliebte.
    7.
    Ich würde nie einem Verein beitreten, sagte ich zu Hannah. Mit einer Ausnahme: wenn es einen Verein gäbe für Freie Radikale!
    Bitte, Nathan, hören Sie auf mit Ihren Kalauern!
    8.
    Warum kann ich nicht genießen? Mein Vater hat es sich immer vorbildlich gutgehen lassen. Wenn er die Wahl hatte zwischen Vergnügen oder Korrektheit, hat er nie Entscheidungsschwäche gezeigt. Nicht dass er bestechlich war, es war lediglich so, dass er gerne nahm. Was das Leben zu bieten hatte. Er sah das nicht so eng, weil er Enge verabscheute. Er genoss die Gesellschaft, über die er als Gesellschaftsreporter berichten musste, so sehr, dass er, wie die Prominenten, kein Privatleben mehr hatte, sondern nur noch den privaten Genuss all der Möglichkeiten, die das Leben für jene bereithielt, die in der Öffentlichkeit standen. Er nahm ehrlich Anteil an den Privilegien der glücklichen wenigen, das heißt, er nahm seinen Anteil von den besten Champagnern, dem exquisiten Essen und karrieregeilen Starlets. Er lud seine Familie, soweit sie ihm überhaupt noch namentlich bekannt war, also mich, in der Ferienzeit zu Gratisurlauben in Luxushotels ein, die einem ehemaligen Schiweltmeister oder einem alternden Supermodel gehörten, ließ sich hofieren von jenen, die nach einem Werbeeffekt gierten, und sonnte sich in deren Ruhm. Ich war als Schüler in all meinen Ferien nicht ein einziges Mal in Jesolo gewesen, so wie meine Mitschüler, aber ich kannte das Hotel de Paris in Monte Carlo.
    Werden wir Geld ausgeben in einer nebbichen Pensione in Jesolo, wenn wir gratis das Fürstenzimmer im Hotel de Paris haben können?, sagte Vater. Was heißt, das macht hier keinen Spaß? Manchmal glaube ich, du bist gemütskrank!
    Er konnte genießen. Und ich musste inzwischen »brav sein«, das heißt ruhig irgendwo sitzen, bis er »mit der Arbeit fertig war«, also mit dem Mitfeiern. Und wenn er einmal nicht darüber schrieb, über das Hotel und die illustren Gäste, dann war es für die Gastgeber eben eine Investition in die Zukunft. Und damit hatten sie recht. Vater war treu. In diesem Sinn. Wenn die Gesellschaft etwas von ihm brauchte, dann konnte sie sich auf ihn verlassen, schließlich brauchte er sie auch. Der Inbegriff von Menschlichkeit war für ihn ein Millionär, dessen Selbstsucht sich in Großzügigkeit gegenüber Vater erwies. So ein sympathischer Herr, ein Gentleman, sagte Vater, seltsam, dass er jetzt gerade von den Schmierblättern so angegriffen wird, als wäre er ein Monster! Das hatte für Vater nur mit Neid zu tun und natürlich mit Politik. Politik verabscheute er. Das war, wie alles, für ihn bloße Repräsentation, nur weniger lustig. Er las nicht einmal den Politikteil der Zeitung, für die er schrieb. Er wählte die Partei, deren Politik-Darsteller versprachen, die Steuern nicht zu erhöhen, überhaupt alles so zu lassen, wie es war. Und er bemühte sich

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