Don Juan de la Mancha
Langeweile es könnte. Die Nervosität im Bett ist menschlich, das gedankenlose Reagieren auf Reize aber ist tierisch. Der Zynismus wiederum ist menschlich. Deshalb steigt das Tier am Ende doch wieder als Mensch aus dem Bett. Zweitens aber ist die Lustlosigkeit zu wenig Grund, um an Sex desinteressiert zu werden. Im Gegenteil. Es gibt wahrscheinlich keinen Antrieb, der so gewaltig ist wie der, der in einem Mann zu glühen beginnt, wenn er die Lust verloren hat in einer Gesellschaft, die nicht einmal einen Liter Mineralwasser verkaufen kann, ohne diese Ware erotisch zu besetzen. Man kann zwar die Lust verlieren, aber man kann sie nicht vergessen. Lust ist überhaupt das Einzige, das man nicht vergessen kann. Wir wissen von Alzheimerpatienten, dass sie, völlig im Nebel ihrer Biographie versunken, spontane Erektionen bekommen. Der Trieb, die Lust zu spüren, ist bereits stärker geworden als der Trieb, sie zu befriedigen. Vielleicht liegt die Befriedigung nur darin: sie spüren zu können. Ich will sie endlich einmal so heftig, so gewaltig spüren, dass ich die Bedeutung, die sie für alle anderen hat, zumindest plausibel finden kann.
Hier ist ein Exkurs nötig. Es sind immer Exkurse nötig, daher also zunächst ein Exkurs über Exkurse: Liebessüchtige Menschen wissen, dass die absolute Mehrheit aller Tagesverrichtungen nichts mit Liebe zu tun hat, ihr nicht einmal in die Nähe kommt. Alltag, Leben überhaupt, stellt sich daher als eine unendliche Abfolge von Exkursen dar, die von der Liebe wegführen, von denen man aber hofft, dass sie sich letztlich als die einzig gangbaren Umwege herausstellen, die zur Liebe hinführen. Deshalb sind Liebessüchtige Spezialisten für Exkurse, für sie ist der Exkurs Form und Haltung des Lebens. Karrieristen sind auf Kurs, Liebende auf Exkurs.
Nun also der erste Exkurs: Als ich jung war, war das Glück alt. In der Werbung gab es nur Alte. Alle möglichen Formen des Glücks wurden von graumelierten oder weißhaarigen Männern in der Reife ihrer Jahre beglaubigt, saubere Wäsche, aromatische Kaffees, heiterer Alkoholismus – »Das ist einen Asbach Uralt wert!«, sagte im Fernsehen der Schnaps trinkende Opa, der so vorbildlich glücklich war. Wie weit entfernt mir als Kind damals das Glück erscheinen musste! Mir fehlten sehr viele Jahre, um Zutritt zum Glück zu bekommen. Als ich endlich vorrückte zur Möglichkeit, Teilhaber des Glücks zu sein, waren alle Glücklichen, die das Glücklichsein in der Werbung ausstellten, dreißig Jahre jünger. An der sauberen Wäsche erfreuten sich plötzlich Zwanzigjährige, die ihre Shirts in Fitness-Studios durchgeschwitzt hatten, selbst der Alkohol gehörte jetzt den Jungen, Studenten oder Friseurlehrlingen, die nach einem Schluck Bacardi-Rum sofort ausgelassen auf einem Palmenstrand tanzten. Wie weit zurückliegend und versäumt mir heute das Glück erscheinen muss! Es ist übertrieben, von Menschen meines Alters als von einer lost generation zu sprechen. Aber lost in commercials, das lässt sich objektiv nachweisen.
Es gab in unserer Lebenszeit keine andere Glücksversprechungsmaschine mehr, die so wirksam war wie die Werbung. Das Versprechen, Konsumverzicht zu üben, war seinerzeit keine Revanche dafür, dass wir in ihr nicht vorkamen, sondern nur der moralische Baldachin über der kargen Welt der Stipendien.
3.
Körperlich fühle ich mich älter, als ich bin. Seelisch aber bin ich unreifer, als ich in meinem Alter sein sollte. Dieser Satz ist Unsinn. Sagt Hannah. Ich müsste schon öfter so alt gewesen sein, wie ich heute bin, also Vergleichsmöglichkeiten haben, um meinen körperlichen und seelischen Zustand beurteilen zu können. Wahr an dem Satz ist nur, dass man sein Alter nie wie einen Maßanzug empfindet. Nie.
4.
Christa ist verheiratet. Eine Frau wie sie könnte nie von einem Mann wie mir verführt werden, wenn sie allein wäre und auf der Suche nach der großen Liebe. Aber ihr Bett ist gemacht – und daher offen für Quereinsteiger und Defizitberater. Sie liebt ihren Mann Georg. Es ist glaubwürdig, wenn sie das sagt. Und es geht ihnen bestens: keine Kinder, zwei gute Einkommen. Georg arbeitet in der Industriellenvereinigung. Ich glaube, er kann nicht einmal scheißen, ohne befriedigt festzustellen, dass seine Scheiße größer ist als die größte chinesische Scheiße Wettbewerbsfähig. Er redet immerzu über den Wettbewerb. Vor allem mit China. Das sei die große Herausforderung des neuen Jahrtausends. Georg hat eine
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