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Don Juan de la Mancha

Don Juan de la Mancha

Titel: Don Juan de la Mancha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Menasse
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Hannah? Manchmal frage ich mich, ob das, was ich Ihnen erzähle oder was ich für Sie aufschreibe, jemanden interessiert. Ich meine, Sie bezahle ich ja dafür, aber würde das irgendjemand anderen interessieren? Warum wünsche ich mir, dass es interessant ist? Ist das nicht ein Kleinbürgersyndrom, zu glauben, dass alles irgendwie exemplarisch ist, was man ist und wie man ist und warum man so ist? Dass es sich »so gehört«, also selbst im Scheitern ganz typisch ist?
    Was mich interessiert, sagte Hannah, ist, ob Sie auch eine Mutter haben. Oder hat Ihr Vater ganz allein Sie als Bube auf den Kartentisch gewixt?
    13.
    Mein Vater ist völlig unwichtig. In dem Sinn, dass er sich in meinem Leben nie wichtig gemacht hat. Er war höchstens durch seine Abwesenheit wichtig. Mit achtzehn, zwölf Jahre nachdem Vater von zu Hause ausgezogen war, trennte ich mich von meiner Mutter, zog in eine eigene kleine Wohnung, die so billig war, dass mein Vater bereit war, die Miete zu bezahlen. Es war eine Souterrainwohnung in der Marxergasse im dritten Bezirk, von Familie und Freunden bald nur noch »Marxer Keller« genannt. Als Vater diese Wohnung sah – er begleitete mich zur Unterzeichnung des Mietvertrags  –, sagte er: »Ja, die ist bestens.« Das hieß: Er stimmte zu, dass man wohl keine bessere Wohnung für den Betrag bekommen würde, den er bereit war zu zahlen. Dann saßen wir allein an einem Küchentisch mit Resopalplatte, über dem Kopf meines Vaters ein kleines Fenster, durch das ich ab und zu die Waden oder Hosenbeine von Passantinnen und Passanten sah, und Vater holte eine Flasche Billig-Sekt (»Söhnlein«) aus seiner Aktentasche, die er entkorkte, um mit mir von Mann zu Mann meine Unabhängigkeit zu feiern. Wir tranken den lauwarmen Sekt aus zwei Kaffeehäferln mit den Aufschriften »Ich« und »Du«, die der Vormieter zurückgelassen hatte. Vater war »Ich«. Er sagte: Er wünsche mir, dass ich glücklich werde, aber glücklich werden könne jeder nur nach seiner eigenen Fasson. Deshalb werde er sich nie in mein Leben einmischen. Drei Regeln allerdings, die in Hinblick auf ein glückliches Leben vielleicht universal seien, wolle er mir nun aber auf den Weg mitgeben. Ich könne sie beherzigen, ich könne sie in den Wind schlagen, aber einmal, ein einziges Mal wolle er sie gesagt haben.
    Er sah auf die Uhr. Ich hatte den Eindruck, dass er es schon bereute, gleich drei Regeln angekündigt zu haben, weil er es schon wieder eilig hatte. Ich brauchte seine Regeln nicht, und ich wollte auch sein Geld nicht mehr. Es war so lächerlich. Sollte er doch gehen, wenn er ein besseres Programm hatte, als mit seinem Sohn warmen Schaum zu gurgeln, an diesem Tag, der für den Sohn historisch war. Er muss gespürt haben, was ich dachte, denn er zog blitzschnell die Manschette über seine Uhr, wischte mit zwei, drei schnellen Handbewegungen unsichtbare Staubfussel vom Ärmel seines Sakkos und sagte: Also, das ist klar, ich werde dich nie mit Ratschlägen oder Vorschriften bedrängen!
    Während des weiteren Gesprächs sah er nie wieder auf die Uhr. Allerdings schaute er immer wieder so seltsam an mir vorbei.
    Die erste Regel: Man kann nur mit der ersten Frau oder mit der letzten glücklich werden. Verstehst du?
    Nein, sagte ich.
    Irgendwann wirst du das verstehen. Zweite Regel – (eindeutig: er hatte es eilig) Wenn du ein Mädchen mit nach Hause nimmst – er blickte sich skeptisch um – und die Nacht mit ihr verbringst, dann mache ihr nie das Frühstück. Sonst machst du es, wenn du mit ihr zusammenbleibst, dein ganzes Leben lang. Verstanden?
    Ja, sagte ich und dachte: Ich werde immer das Frühstück machen. Ganz liebevoll. Für jede, die mich liebt.
    Dritte Regel: Wenn zwei sich lieben, dann lieben sie sich auch in einer Steinzeithöhle. Verstanden?
    Ja, sagte ich. Das war wirklich leicht zu verstehen: Wenn ein Mädchen es hier nicht aushält, dann hält sie es mit dir nicht aus – komme also nie und verlange mehr Geld für eine bessere Wohnung. Das hatte er gemeint.
    Er sah wieder an mir vorbei, dann stand er auf.
    Sind die Wände feucht?, fragte er, drückte eine Handfläche an die Wand, von der sofort ein Stück Anstrich, wenn nicht gar Verputz herunterfiel. Nein, sagte er, man muss nur einmal ordentlich heizen, klar! Dann ist es bestens!
    Erst nachdem Vater gegangen war, fiel mir auf, dass an der Wand, die ich während unseres Gesprächs im Rücken gehabt hatte, eine Küchenuhr hing.
    Diese Wohnung ist feucht, sagte meine Mutter,

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