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Don Juan de la Mancha

Don Juan de la Mancha

Titel: Don Juan de la Mancha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Menasse
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Vorbild bringt. Mein Vater hat vorbildlich genossen, und ich musste so lange warten. So habe ich, ausgerechnet von ihm, das Warten gelernt.
    Irgendwann – dachte ich, oder hoffte ich, oder glaube ich, dass ich damals dachte  –, irgendwann werde ich der Nächste sein. Die Tür wird aufgehen, und ich bin dran.
    »Da setz dich her und warte auf mich. Du darfst in der ersten Reihe sitzen. Ich bin bald zurück! Es dauert nicht lange!«
    Ja, Papa.
    »Bleib da sitzen, bis ich zurück bin. Erste Reihe! Toll, oder? Du gehst nicht weg, bis ich zurück bin, ja? Du wirst sehen, es ist lustig! Sie proben hier ein Kabarett!«
    Ja. Was ist Kaba- ?
    Ein Keller. Es war ein heißer Nachmitag in grellem Gegenlicht. Ich war, meinem Vater nachlaufend, ins Schwitzen gekommen. Hier im Keller war es dunkel, und der Schweiß wurde kalt. Im Licht der Bühne stand ein Mann, der Witze machte, die ich nicht verstand, aber da waren einige Menschen, die immer wieder lachten. Dann redeten andere, dann wurde gesungen. Manchmal war der Mann unzufrieden, und die anderen mussten noch einmal dasselbe sagen. Sie waren alle so unheimlich lustig. Aber ich verstand nicht, was so lustig war. Ich verstand nur den Mann, der immer so unzufrieden war und wollte, dass die anderen ihr Lustig-Sein wiederholten. Er schrie. Er tobte. Dann sprach er mit einem dicken Mann auf der Bühne, der offenbar ziemlich dumm war. Aber damit war er zufrieden. Plötzlich standen drei Frauen unmittelbar vor mir, zwischen der ersten Reihe und der Bühne. Sie beachteten das Kind nicht, das da saß und das jetzt nicht mehr die Bühne sah, sondern ihre Pobacken. In Augenhöhe. Ihre Beine. Die Frauen hatten enge schwarze Trikots an und Netzstrumpfhosen. Sie standen vor mir und warteten. Der Mann sagte etwas, alle lachten. Vater hatte ja gesagt, dass das lustig sei. Aber ich verstand den Witz nicht. Die Frauen standen vor mir und warteten, flüsterten miteinander. Ich starrte auf ihre Pobacken, ihre Beine im Netz. Ich dachte – nichts. Ich war noch zu jung, um Erregung mit einem Gedanken zu verbinden. Da war erst der Samen eines Gedankens, der später zu keimen begann und schließlich wucherte.
    Vater kam zurück. Und jetzt waren es vier Frauen in Netzstrümpfen.
    Komm, wir gehen, sagte er. Er fragte mich nicht, ob ich es lustig gefunden habe.
    Na endlich! Wo warst du so lange?, sagte ich zu Christa. Ich hatte über eine Stunde auf sie gewartet, in der Bar des Hotels »Zur Spinne«, in dem wir uns verabredet hatten.
    Ich habe noch schnell Netzstrümpfe gekauft, sagte sie. Hast du dir doch gewünscht. Schau mal!
    Ich nickte. Ich hatte viel zu viel getrunken, während des Wartens.
    11.
    Mein Vater hatte einen Freund namens Silber – von Vater genannt Die Mine. Moritz Silber war in jungen Jahren österreichischer Meister im Tennis gewesen. Weiter hatte ihn sein Talent nicht getragen. Aber immerhin. Danach verdiente er ein Vermögen als Generalimporteur von Dunlop-Tennisbällen. Er war der Erste in Österreich, der die gelben Tennisbälle hatte. Bis dahin hatte es nur die weißen gegeben, von Slazenger, die schwerer waren und deshalb von ehrgeizigen Hobbyspielern, die fürchteten, einen Tennisarm zu bekommen, nun abgelehnt wurden. Waren sie wirklich schwerer? Es hatte in der Zeitung gestanden. Vater?
    Auf jeden Fall waren die gelben Bälle schicker. Da kam ich wieder einmal in Konflikt mit den Weltenläuften. Ich fand, Tennisbälle mussten weiß sein, genauso wie die Trikots der Spieler. So ist es immer gewesen. Der weiße Sport. Aber die gelben Bälle traten einen unaufhaltsamen Siegeszug an, und es waren die Alten, die sie vorzogen. Die viel Jüngeren nahmen hin, was sie bekamen. Für sie waren die gelben Bälle von Anfang an einfach da und normal. Dazwischen ich. Allein in Opposition. Ich wollte, dass die Welt noch eine Zeit lang so blieb, wie ich sie kennengelernt hatte. Nur die Väter sollten irgendwann, bald, abtreten. Aber sonst sollte die Welt bleiben, wie ich sie kannte. Wie sollte ich sonst in ihr die Herrschaft übernehmen, wenn ständig alles anders wurde?
    Exkurs: Abertausende Menschen beschäftigen sich weltweit mit allen Aspekten der Kindheit. Sie schreiben Bücher, sie analysieren und therapieren. Aber noch hat kein Einziger das grundlegende Problem erkannt: dass Kindheit eine Sackgasse ist. Das Kind lernt nichts anderes, als ein Kind zu sein. Es lernt konservativ, ein braves Kind zu sein, oder es lernt progressiv, ein freies Kind zu sein, ein entfesseltes Kind. Aber ein

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