Don Quixote von la Mancha: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
gewöhnliche Spruch entstanden, daß der Mann eines ehebrecherischen Weibes, wenn er auch unwissend ist oder auch keine Gelegenheit gegeben hat, daß sein Weib ihre Pflicht verlassen konnte, es auch weder sein Verschulden noch seine Unachtsamkeit war, die ihm sein Unglück zugezogen haben, man ihn doch immer gering achtet und mit schändlichen Namen belegt. Ja diejenigen, die um die Schändlichkeit seines Weibes wissen, sehen ihn selbst mit Verachtung an, statt ihn mit Mitleiden zu betrachten, da sie wissen, daß er sich nicht durch seine Schuld, sondern durch die Ausschweifungen seiner schlechten Gefährtin in diesem Unglück befindet. Ich will dir aber jetzt die Ursache sagen, warum der Mann eines schlechten Weibes mit Recht seine Ehre verliert, wenn er auch nicht weiß, daß sie schlecht ist, er auch keine Schuld hat, oder er ihr irgendeine Ursach’ oder Gelegenheit gegeben, daß sie es ist; werde nicht verdrießlich mich anzuhören, denn alles zweckt zu deinem Besten ab. Als Gott unseren ersten Vater im irdischen Paradiese erschuf, so sagt die Heilige Schrift, daß Gott über Adam einen Schlaf ausgoß, und daß er während seines Schlafs eine Rippe aus seiner linken Seite nahm, woraus er unsere Mutter Eva bildete; als Adam nun erwachte und sie erblickte, sprach er: Das ist Fleisch von meinem Fleisch und Bein von meinem Bein. Und Gott sprach: Für sie wird der Mann Vater und Mutter verlassen, und sie werden beide nur ein Fleisch sein. Und damals wurde das göttliche Sakrament der Ehe mit solchen Banden gestiftet, daß nur der Tod sie auflösen kann; und dieses wundervolle Sakrament hat solche Kraft und Tugend, daß es zwei unterschiedene Personen in ein einziges Fleisch verwandelt; ja es tut in den guten Ehen noch mehr, denn ob die beiden Vermählten gleich zwei Seelen haben, so haben sie doch nur einen Willen; und daher kommt es, daß wie das Fleisch der Gattin eins und dasselbe mit dem des Gatten ist, auch die Flecken, die auf sie fallen, oder die Fehler, die sie begeht, zugleich mit in das Fleisch des Mannes übergehen, wenn er auch, wie schon gesagt, keine Gelegenheit zu dieser Verderbnis gegeben hat. Denn wie der Schmerz des Fußes, oder eines jeden anderen Gliedes am menschlichen Körper vom ganzen Körper empfunden wird, weil alles dasselbe Fleisch ist, und wie das Haupt daher die Verletzung der Ferse empfindet, wenn es diese gleich nicht verursacht hat, so nimmt auch der Mann an der Schande des Weibes teil, weil er mit ihr ein und dasselbe Wesen ist; und wie Keuschheit und Unkeuschheit in der Welt aus Fleisch und Blut entstehen, und die Entehrung des schlechten Weibes eben darin liegt, so folgt notwendig, daß ein Teil davon auf den Mann zurückfällt und er ebenfalls für entehrt zu achten ist, wenn er gleich nicht darum weiß. Bedenke ferner, Anselmo, die Gefahr, der du dich bloßstellst, wenn du die Ruhe stören willst, in der deine edle Gattin lebt: bedenke, welcher eitlen und fürwitzigen Grübelei zu Gefallen du die Leidenschaften erwecken willst, die jetzt noch friedlich im Busen deiner keuschen Gattin schlummern; überlege, daß das, was du gewinnen kannst, klein, und was du verlieren könntest, so groß ist, daß ich es nicht zu schildern unternehme, weil mir dazu Worte und Ausdrücke mangeln. Ist aber alles, was ich gesagt habe, nicht hinreichend, dich von deinem bösen Vorsatze abwendig zu machen, so magst du ein anderes Werkzeug deiner Entehrung und deines Unglücks suchen, denn ich will es nicht sein, wenn ich auch darüber deine Freundschaft einbüßen sollte, welches doch der größte Verlust ist, den ich mir vorstellen kann.«
Mit diesen Worten schloß der tugendhafte und verständige Lotario, und Anselmo war so verwirrt und in Gedanken versunken, daß er ihm eine geraume Zeit nicht antworten konnte, endlich aber sagte er: »Du hast gesehen, mit welcher Aufmerksamkeit ich dir zugehört habe, mein Freund Lotario, was du mir auch hast sagen wollen, und in deinen Gründen, Beispielen und Vergleichungen habe ich deinen großen Verstand eingesehen und wie sehr du bis zur höchsten Staffel der Freundschaft gelangt bist; auch gestehe ich gern, daß, wenn ich nicht deiner Meinung folge, sondern ihr zuwider der meinigen nacheile, ich dem Guten entfliehe und dem Bösen entgegenrenne. Dies vorausgesetzt, mußt du erwägen, daß ich jetzt an der Krankheit leide, die manche Weiber zu erdulden pflegen, die das Gelüste überfällt, Sand, Kreide, Kohlen und andere noch schlimmere Dinge zu essen, wenn
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