Don Quixote von la Mancha: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Freundschaft dachte, wieviel mehr ziemt es sich für einen Christen, dem es bewußt ist, daß er die Liebe Gottes für keines Menschen Liebe verlieren darf? Verlangt aber ein Freund, daß man so sehr das Äußerste tue, und daß man den Willen des Himmels beiseite setze, um den des Freundes zu erfüllen, so muß das nicht wegen kleiner unbedeutender Dinge geschehen, sondern nur für Sachen, welche die Ehre und das Leben des Freundes betreffen. Aber nun sage mir, Anselmo, ist deine Ehre oder dein Leben in Gefahr, daß ich wagen sollte, dir Genüge zu tun, und etwas so Abscheuliches auszuführen, als du von mir verlangst? Wahrlich, nein, sondern so viel ich begreife, verlangst du, daß ich mir Mühe geben soll, dir Ehre und Leben zu rauben, ja zu gleicher Zeit es mir zu rauben, denn wenn ich dir deine Ehre stehle, so folgt daraus, daß ich dein Leben stehle, denn ein Mann ohne Ehre ist schlimmer als ein Toter, und da ich, wie du es verlangst, der Urheber deines Elends bin, werde ich nicht zugleich entehrt und folglich auch des Lebens beraubt? Höre mir zu, Freund Anselmo, und antworte mir nichts, bis ich dir alles gesagt habe, was mir in Ansehung deines Vorhabens einfällt, denn du wirst dann noch Zeit haben zu antworten, so wie ich dir zuzuhören.«
»So sei es«, sagte Anselmo, »sprich was du willst.«
Und Lotario fuhr hierauf so fort: »Es scheint mir, Anselmo, du habest jetzt die Art des Verstandes, die den Mohren eigen ist, denen man durch Stellen aus der Heiligen Schrift nicht den Irrtum ihrer Sekte deutlich machen kann, ebensowenig durch Gründe, die aus der reinen Vernunft genommen oder die auf Glaubensartikel gebaut sind, sondern man muß ihnen handgreifliche und leichte Beispiele geben, die verständlich, beweislich und unwiderleglich sind, wie die mathematischen Demonstrationen, die sie nicht ableugnen können, als wenn man sagt: Wenn von zwei gleichen Teilen zwei gleiche Teile abgezogen werden, so ist sich das, was übrigbleibt, gleich. Und wenn sie das in Worten nicht begreifen, wie sie es denn in der Tat nicht fassen, so muß man es ihnen mit den Händen zeigen und so vor die Augen stellen, und dennoch ist alles dieses noch nicht hinreichend, sie von den Wahrheiten unserer heiligen Religion zu überführen. Derselben Art und Weise mich zu bedienen, wäre auch bei dir nötig, denn das Vorhaben, worauf du verfallen bist, liegt so sehr von alledem entfernt, was auch nur noch auf eine Spur von Vernunft Ansprüche macht, daß es mir nur verschwendete Zeit dünkt, wenn man dir deine Torheit deutlich machen wollte, denn ich kann ihm jetzt keinen anderen Namen beilegen, und darum dürfte ich dich nur geradezu auf Gefahr deines Verderbens hin in deinem Wahnsinne verharren lassen. Aber meine Freundschaft leidet nicht, daß ich so hart gegen dich sein könnte, sie gibt es nicht zu, daß ich dich in einer so augenscheinlichen Gefahr darf zugrunde gehen lassen, und damit du dies deutlich einsiehst, so sage mir, Anselmo, hast du mir nicht selbst gesagt, daß ich mich jetzt um eine Sittsame bewerben solle? eine Tugendhafte überreden? einer Uneigennützigen Anerbietungen machen? einer Verständigen aufwarten? Dies hast du gesagt. Wenn du nun also weißt, daß deine Gattin sittsam, tugendhaft, uneigennützig und verständig ist, was willst du? Und wenn du glaubst, daß sie aus allen meinen Bestürmungen als Siegerin hervorgehen wird (wie es gewiß geschieht), mit welchen schöneren Ehrennamen denkst du sie denn künftig zu nennen, als sie jetzt schon besitzt? oder was wird sie denn besseres sein, als was sie jetzt ist? So daß du sie also für was anderes hältst, als du sagst, oder selbst nicht weißt, was du verlangst. Hältst du sie nicht für das, was du von ihr sagst, warum willst du sie anders auf die Probe stellen, als um das Schlimmste, was dir nur einfallen kann, mit ihr vorzunehmen? Ist sie aber so edel, wie du es glaubst, so ist es Vorwitz, eine neue Erfahrung über dieselbe Wahrheit zu machen, die, wenn sie gemacht ist, zu der vorigen Achtung nichts hinzufügen kann; so daß notwendig hieraus folgt, daß Dinge versuchen, aus denen eher Schaden als Vorteil entspringen kann, nur unverständigen und tollkühnen Gemütern eigen ist, besonders wenn sie es unternehmen, ohne dazu gezwungen und gedrängt zu werden, und solche, die schon aus der Ferne sich deutlich kennbarmachen, daß es nur Wahnsinn sei, sie zu unternehmen. Die schwierigen Sachen unternimmt man aber entweder für Gott, oder für die Welt, oder
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