Don Quixote von la Mancha: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
er habe bis dahin noch nichts vom Gegenteil in den Vorschriften der Ritterschaft gelesen. Sancho sagte, er bemerke, daß es Zeit sei zu essen. Sein Herr erwiderte, daß er es noch nicht bedürfe, daß er aber essen könne, soviel er wolle. Mit dieser Erlaubnis richtete sich Sancho auf seinem Tiere so bequem ein, als er nur konnte, er nahm aus dem Schnappsacke, was er hineingepackt hatte, und so folgte er reitend und essend seinem Herrn eine große Strecke, indem er von Zeit zu Zeit den Schlauch mit so vielem Anstande an den Mund setzte, daß ihn der ausgelernteste Gastwirt von Malaga hätte beneiden können. Wie er nun so fortzog und die Schlückchen immer schneller wiederholte, gedachte er keines Versprechens mehr, das ihm sein Herr getan hatte, hielt es auch für keine Beschwerde, sondern für eine große Ergötzung, herumzuirren und Abenteuer aufzusuchen, wenn sie auch noch so gefährlich sein sollten.
Sie mußten endlich die Nacht unter einigen Bäumen zubringen, und von dem einen Baume brach Don Quixote einen trockenen Zweig ab, der ihm zur Lanze dienen sollte, an den er auch das Eisen befestigte, das ihm von der zerschlagenen übriggeblieben war. Don Quixote schlief die ganze Nacht hindurch nicht, sondern dachte an seine Gebieterin Dulcinea, um es nachzutun, was er in seinen Büchern gelesen, wie die Ritter ohne Schlaf viele Nächte in den Waldungen und Einöden zubrachten und sich mit dem Andenken ihrer Herrscherinnen unterhielten. Nicht also trieb es Sancho Pansa, der, da er den Magen, und zwar mit keinem Habersüppchen, angefüllt hatte, die ganze Nacht aus einem Stücke schlief und auch nachher nicht erwacht wäre, wenn ihn sein Herr nicht aufgeweckt hätte, denn die Strahlen der Sonne, die ihm auf das Gesicht schienen, sowie der Gesang der Vögel, die von allen Zweigen mit jubelndem Gesange die Ankunft des neuen Tages feierten, vermochten es nicht. Als er sich ermuntert hatte, schenkte er seinem Schlauche eine Umarmung, wobei er ihn viel eingefallener fand, als den Abend vorher, und sich von Herzen darüber betrübte, weil es nicht aussah, als wenn sie auf diesem Wege seine Auszehrung würden heilen können. Don Quixote begehrte nicht zu frühstücken, weil er sich, wie schon gesagt, mit nahrhaften Vorstellungen unterhalten hatte.
Sie ritten auf der Straße nach dem Hafen Lapice weiter, den sie auch drei Stunden nach Sonnenaufgang entdeckten.«Hier«, rief Don Quixote, als er ihn erblickte, »Bruder Sancho, hier können wir die Hände bis an die Ellenbogen hinauf in das tauchen, was man Abenteuer nennt, aber vernimm, daß, wenn du mich auch in der allergrößten Gefahr erblicken solltest, du doch niemalen die Hand an den Degen legen sollst, um mich zu verteidigen, außer du müßtest gewahr werden, daß ich vom Pöbel oder gemeinen Volke beleidigt würde, in einem solchen Falle ist es dir gestattet, mir beizustehen; sind es aber Ritter, so ist es dir nach den Rittergesetzen keineswegs erlaubt oder vergönnt, mir zu helfen, bis du selbst zum Ritter geschlagen bist.«
»Seid versichert, gnädiger Herr«, antwortete Sancho, »daß ich Euch darin pünktlich Gehorsam leiste, vollends da ich sehr friedliebend bin und mich nicht gern in Schlägereien und Händel einmenge; aber freilich, wenn einer meine eigene Person angreifen wollte, da würde ich nach Euren Gesetzen nicht fragen, denn göttliche und menschliche Gesetze erlauben, daß sich jedermann wehren darf, wenn ihm was zuleide geschieht.«
»Das leugne ich auch gar nicht«, antwortete Don Quixote, »nur in dem Umstande, daß du mir nie gegen Ritter beistehen darfst, sollst du deine natürliche Hitze bändigen.«
»Ich sage ja auch, daß ich es tun will«, antwortete Sancho, und daß ich diese Vorschrift so genau halten will wie den Sonntag.«
Als sie so redeten, zeigten sich auf dem Wege zwei Brüder von dem Orden des heiligen Benedikt, die auf zwei Dromedaren ritten, denn viel kleiner waren die Maultiere nicht, auf denen sie saßen; sie trugen Brillen und Sonnenschirme. Ihnen folgte eine Kutsche, von vier oder fünf zu Pferde und zwei Eseltreiberjungen zu Fuße begleitet. In der Kutsche war, wie man nachher erfuhr, eine biskayische Dame, die nach Sevilla zu ihrem Gemahl reiste, der in einem ehrenvollen Geschäfte nach Indien ging. Die Patres reisten nicht mit ihr, ob sie gleich dieselbe Straße zogen, aber kaum hatte sie Don Quixote gesehen, als er zu seinem Stallmeister sagte: »Wenn ich mich nicht trüge, so ist dieses das berühmteste Abenteuer,
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