Don Quixote von la Mancha: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
eine Glosse auf vier Verse zu machen, die man ihm von Salamanka geschickt, und welche, wie es scheint, eine literarische Preisaufgabe ist.«
Auf welche Rede Don Quixote also antwortete: »Die Kinder, mein Herr, sind Stücke aus den Eingeweiden ihrer Eltern; deshalb müssen diese sie lieben, sie mögen nun schlimm oder gut sein, wie wir die Seelen lieben, die uns das Leben geben. Es ist die Pflicht der Eltern, die Kinder von klein an auf den Weg der Tugend zu leiten, der Wohlerzogenheit und der guten und christlichen Gesinnungen, damit, wenn sie erwachsen, sie der Stab ihrer alten Eltern und der Stolz ihrer Nachkommenschaft werden; daß sie sie aber zum Studium dieser oder jener Wissenschaft zwingen sollen, halte ich nicht für gut getan, ob es gleich nicht zu tadeln ist, wenn sie die Überredung versuchen. Hat einer nun nicht nötig, pro pane lucrando zu studieren, indem er so glücklich ist, daß ihm der Himmel wohlhabende Eltern geschenkt hat, so bin ich der Meinung, daß man einen solchen diejenige Wissenschaft ergreifen lasse, zu welcher er den meisten Trieb in sich spürt; und obgleich die der Poesie mehr angenehm als nützlich ist, so entehrt sie doch diejenigen nicht, die sich zu ihr bekennen. Die Poesie, mein edler Herr, kommt mir nicht anders wie eine zarte und blühende Jungfrau vor, die mit der größten Schönheit geschmückt ist; viele andere Jungfrauen sind sorgsam geschäftig, sie kostbar und zierlich auszuputzen, und dies sind alle übrigen Wissenschaften; sie läßt sich von allen bedienen, und alle übrigen stehen gern unter ihrem Befehle. Diese Jungfrau aber will nicht öffentlich durch die Gasse geschleppt sein, nicht in den Ecken der öffentlichen Plätze oder in den Winkeln der Paläste ausgestellt werden. Sie ist aus einem Metalle von solchem Gehalt, daß derjenige, der mit ihr umzugehen weiß, sie in das reinste Gold von unschätzbarem Werte verwandelt. Derjenige, der sie besitzt, darf sie aber nicht zu schändlichen Satiren oder zu unverschämten Sonetten mißbrauchen. Sie darf auf keine Weise verkäuflich sein; doch mag dies wohl bei heroischen Gedichten geschehen, mit kläglichen Tragödien oder fröhlichen und kunstgemäßen Komödien. Nicht von Spaßmachern darf sie ausgeübt werden, ebensowenig vom unwissenden Pöbel, der die Schätze nicht erkennen und begreifen kann, die in ihr verschlossen liegen. Und glaubt nicht, mein Herr, daß ich Pöbel hier nur das niedrige und gemeine Volk nenne, sondern jeder Unwissende, er sei Graf und Fürst, muß zur Zahl des Pöbels gerechnet werden. Derjenige also, der so, wie ich beschrieben habe, die Poesie ausübt, wird berühmt und sein Name von allen gebildeten Nationen der Erde hochgeachtet werden. Da Ihr mir gesagt habt, mein Herr, daß Euer Sohn die neuere Poesie nicht sonderlich achtet, so schließe ich daraus, daß er nicht genug mit ihr bekannt ist; mein Grund ist nämlich der, der große Homerus schrieb nicht Latein, denn er war ein Grieche, und Virgilius schrieb nicht Griechisch, denn er war ein Lateiner. Kurz, alle alten Poeten haben in der Sprache geschrieben, die sie mit der Muttermilch einsogen; sie haben keine fremde aufgesucht, um in ihr ihre hohen Empfindungen auszudrücken. Da dies nun so ist, so wäre es wohl gut, wenn sich dieser Gebrauch über alle Nationen erstreckte und man den deutschen Poeten nicht deshalb verachtete, weil er in seiner Sprache geschrieben, noch den kastilianischen, noch selbst den Biskayer, wenn er in der seinigen dichtet. Wie ich mir aber vorstelle, mein Herr, so mag Euer Sohn vielleicht nicht so sehr gegen die neuere Poesie sein, als gegen die Poeten, die nur ihre eigene Sprache und keine andere, sowie keine andere Wissenschaften kennen, die ihr natürliches Talent schmücken, erwecken und unterstützen. Und doch kann man sich auch hierin wieder irren; denn es ist eine ausgemachte Sache, daß der Poet geboren wird, das heißt, daß der wahre Poet schon aus Mutterleibe als Poet kommt, und daß er mit dieser Gabe, die ihm der Himmel einpflanzte, ohne weiteres Studium und Kunst Dinge hervorbringt, die den Spruch vollkommen bestätigen: Est Deus in nobis etc. Ebenfalls behaupte ich, daß der natürliche Poet, wenn er von der Kunst unterstützt wird, bei weitem jenen Poeten übertreffen wird, der sich durch die bloße Kunst bestrebt, einer zu sein. Der Grund ist der: daß die Kunst nicht höher steht als die Natur, sondern diese nur vervollkommnet, so daß, wenn Natur mit Kunst und Kunst mit Natur in eins
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