Don Quixote von la Mancha: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
zeigte; denn auf der Spitze des Felsens, in welchem das Grab ausgehauen wurde, erschien die Schäferin Marcella, so schön, daß die Beschreibung von ihrer Schönheit übertroffen wurde. Die sie noch nicht gesehen hatten, betrachteten sie mit stiller Bewunderung, und die an ihren Anblick gewöhnt waren, hefteten nicht minder hingerissen die Augen auf sie, wie diejenigen, denen der Anblick neu war. Kaum aber hatte sie Ambrosius erblickt, als er mit dem Ausdruck des Unwillens ausrief: »Ha! du kommst wohl, schrecklicher Basilisk dieser Gebirge, um zu sehen, ob deine Gegenwart das Blut aus den Wunden dieses Unglückseligen wieder hervorruft, dem deine Grausamkeit das Leben raubte? Oder kommst du, um über deine grausamen Taten zu triumphieren? Wie ein zweiter frevelnder Nero den Brand deines angezündeten Roms zu sehen? Oder willst du höhnend den Fuß auf diese jammervolle Leiche setzen, wie es die undankbare Tochter ihrem Vater Tarquinius tat? Sage nur schnell was du willst, oder welches dir die liebste Freude ist, denn ich weiß, wie jeder Gedanke des lebenden Chrysostomus dir dienstbar war; auch im Tode soll er dir gehorchen, und wir alle, seine Freunde, wollen dir ohne Widerspruch willfahren.«
»Keine von deinen angeführten Ursachen, Ambrosius, führt mich her«, antwortete Marcella, »sondern ich bin entschlossen, allen denen, die mir die Leiden und den Tod des Chrysostomus zuschreiben, zu zeigen, wie weit sie von der Wahrheit entfernt sind. Ich bitte also alle, die zugegen sind, aufmerksam zu bleiben, denn ich werde weder viel Zeit brauchen noch viele Worte verschwenden, um meinen Beweis den Verständigen deutlich zu machen. Der Himmel hat mich, wie ihr sagt, schön geschaffen, und so, daß ihr, ohne weitere bewegende Ursache, mich meiner Schönheit wegen liebt, und die Liebe, die ihr mir zeigt, soll, wie ihr sagt, ja fordert, mich zwingen, euch wieder zu lieben. Durch den natürlichen Verstand, den Gott mir lieh, begreife ich, daß alles Schöne liebenswürdig ist; aber das ist mir unverständlich, wie die, weil man sie liebt, gezwungen sei, den zu lieben, der sie als eine Schönheit liebt, da es sich gar fügen kann, daß, der die Schöne liebt, häßlich ist, und alles Häßliche gehaßt werden muß, so reimt es sich übel, zu sagen: ›ich verehre dich, weil du schön bist, du mußt mich also lieben, bin ich gleich häßlich.‹ Wenn es sich aber auch trifft, daß gleiche Schöne sich entgegenkommt, so macht dies nicht die Folge, daß sich die Wünsche begegnen müssen, denn nicht alle Schönen wirken Liebe, manche erfreuen das Auge, lassen aber den Willen frei, denn machten alle Reizenden verliebt und fesselten sie den Willen, so würden sich alle Willen in verworrener Richtung fortbewegen, ohne Ursache zu finden, irgendwo stillzustehen, denn wie unzählig die Gegenstände der Schönheit sind, so unzählig müßten auch die Wünsche sein; und doch hat man mir gesagt, wie die wahre Liebe unteilbar ist, so sei sie auch freiwillig und ohne Zwang. Wenn dem so ist, wie ich es glaube, warum wollt ihr meinen Willen durch Gewalt bezwingen, und aus keiner anderen Ursache, als weil ihr, wie ihr es sagt, mich liebt? Wo nicht, so sagt, ob es, wenn der Himmel, der mich schön geschaffen, mich häßlich gebildet hätte, recht wäre, wenn ich mich dann über euch beklagte, daß ihr mich nicht liebtet? Wobei ihr überdies erwägen müßt, daß ich mir meine Schönheit nicht erwählt habe, daß sie mir der Himmel ohne Bitte und Wahl nach seiner eigenen Gnade verliehen hat; wie nun die Natter ohne Schuld ist, daß ihr Gift tötet, weil die Natur sie so eingerichtet hat, so verdiene auch ich nicht, daß man mir aus meiner Schönheit einen Vorwurf macht, denn die Schönheit der tugendvollen Frauen gleicht dem fernen Feuer oder dem scharfen Schwerte, weil jenes keinen brennt, dieses keinen verwundet, der ihnen fern bleibt. Die Ehre und die Tugend sind Schmuck der Seele, ohne welche der Leib, wie er auch sei, niemals schön erscheinen kann. Ist die Ehre nun von so hoher Tugend, daß sie Leib und Seele schmücken und verschönen kann, warum soll die, welche ihr der Schöne wegen liebt, sie verlieren, dem Willen desjenigen zu gefallen, den einzig seine Leidenschaft treibt, ihren Verlust mit Gewalt und List zu suchen? Frei bin ich geboren, um frei zu leben erwählte ich die Einsamkeit des Gefildes. Die Bäume dieser Berge sind meine Gesellschaft, die hellen Wasser dieser Ströme meine Spiegel, diesen Bäumen, diesen Wassern
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