Don Quixote
mich nur, da er so verständig ist, daß er in allen Leiden und Trübsalen, wie auch in Glücksfällen, sich niemals bemüht hat, seinem Vater Nachricht von sich zu geben, denn wenn er oder einer von uns um seine Lage gewußt hätte, hätte er nicht nötig gehabt, seiner Ranzion wegen auf das wundervolle Rohr zu warten. Die Ungewißheit ängstigt mich jetzt nur, ob ihm die Franzosen die Freiheit geschenkt oder ob sie ihn umgebracht haben, um ihren Raub zu verdecken. Dies macht, daß ich meine Reise nicht mit dem Vergnügen fortsetzen kann, mit welchem ich sie angetreten habe, sondern mit großer Melancholie und Traurigkeit. O du mein edler Bruder! Wüßte ich, wo du jetzt bist, so wollte ich dich aufsuchen und aus deinen Leiden erlösen, und wenn ich selbst dafür leiden sollte! O wer wird unserm alten Vater die Zeitung bringen, daß du noch lebst, wenn du auch im tiefsten Gefängnisse der Barbarei lägst, daß du mit seinem, meines Bruders und meinem Vermögen erlöst würdest! O schöne und großmütige Zoraida! Wer kann dir das vergelten, was du an meinem Bruder getan hast! Wenn wir doch bei der Wiedergeburt deiner Seele und bei deiner Hochzeit zugegen wären, die uns so große Freude gemacht hätte!«
Dies und noch mehr sagte der Hörer, indem er inniglich der Nachrichten wegen gerührt war, die er von seinem Bruder empfangen hatte, so daß alle, die ihn anhörten, über das Bezeigen seiner Traurigkeit ebenfalls bewegt wurden. Da der Pfarrer sah, daß seine Absicht und der Wunsch des Kapitäns so gut in Erfüllung gegangen war, wollte er ihn nicht länger in seiner Traurigkeit verharren lassen, er stand also vom Tische auf und ging in das Gemach, in dem sich Zoraida befand, er nahm diese bei der Hand, und ihr folgten Luzinde, Dorothea und die Tochter des Hörers. Der Kapitän war in Erwartung, was der Pfarrer vornehmen würde, der ihn auch mit der andern Hand faßte und so mit beiden dahin ging, wo sich der Hörer nebst den übrigen Rittern befand, worauf er sagte: »Trocknet, Herr Hörer, Eure Tränen, denn das, was Ihr sehr wünschtet, ist in Erfüllung gegangen, denn dieser ist Euer edler Bruder und diese Eure edle Schwägerin; den Ihr hier vor Euch seht, ist der Kapitän Viedma, und diese ist die schöne Mohrin, die ihm so viel Gutes erzeigt hat; die Franzosen, von denen ich Euch erzählte, haben sie in diese Dürftigkeit versetzt, damit Ihr die Großmut Eurer edlen Seele beweisen könnt.«
Der Kapitän wollte seinen Bruder umarmen, dieser legte ihm beide Hände auf die Brust, um ihn aus der Ferne genauer zu betrachten; als er ihn aber erkannt hatte, umarmte er ihn so inbrünstig und vergoß in seiner Entzückung so viele Freudentränen, daß die meisten von denen, die zugegen waren, seinem Beispiel folgten. Was sie hierauf miteinander sprachen, die Empfindungen, die sie äußerten, lassen sich kaum vorstellen, viel weniger beschreiben. Bald erzählten sie sich ihre Begebenheiten, bald zeigten sich beide ihre brüderliche Gesinnung, bald umarmte der Hörer die Zoraida, bald bot er ihr sein Vermögen an, bald mußte sie seine Tochter umarmen, bald erneuerten die schöne Christin und die schönste Mohrin die Tränen in aller Augen. Don Quixote hatte alle diese seltsamen Begebenheiten aufmerksam beachtet, ohne ein Wort zu sagen, indem er alles den Chimären der irrenden Ritterschaft zuschrieb. Es wurde beschlossen, daß der Kapitän und Zoraida mit seinem Bruder nach Sevilla gehen sollten und dem Vater von dem wiedergefundenen Befreiten Nachricht geben, damit er bei der Hochzeit und Taufe der Zoraida zugegen sein könne, weil es dem Hörer nicht möglich war, seine Reise aufzuschieben, denn er hatte Nachricht bekommen, daß innerhalb eines Monats eine Flotte von Sevilla nach Neu-Spanien segeln würde, und es wäre ihm sehr nachteilig gewesen, diese Gelegenheit zu versäumen. Kurz, alle waren über diese glückliche Begebenheit des Gefangenen vergnügt und voller Freude, und da die Nacht schon über die Hälfte verflossen war, beschloß man, beieinanderzubleiben und den übrigen Teil der Nacht zu ruhen.
Don Quixote erbot sich, die Bewachung des Kastells über sich zu nehmen, damit kein Riese oder ein anderer schlecht denkender Schurke einen Angriff darauf tue, gierig nach dem großen Schatz der Schönheit, der im Kastelle verschlossen sei. Die ihn kannten, sagten ihm Dank und gaben dem Hörer von dem seltsamen Humor des Don Quixote Nachricht, worüber er sich nicht wenig belustigte. Nur Sancho Pansa war
Weitere Kostenlose Bücher