Don Quixote
beschauten, wollte, bevor einer sprach oder ihn etwas fragte, sich dieses Schweigen zunutze machen, brach daher das seinige, erhob die Stimme und sagte:
»Wackere Herren! Ich bitte Euch, sosehr ich Euch nur bitten kann, eine Rede nicht zu unterbrechen, die ich Euch zu halten gedenke, bis Ihr seht, daß sie Euch unangenehm und verdrießlich fällt, denn wenn dieses geschieht, so will ich beim kleinsten Zeichen, welches Ihr mir gebt, meinen Mund versiegeln und ein Schloß an meine Zunge legen!«
Alle sagten ihm, er möchte reden, soviel es ihm beliebte, denn sie würden ihm mit Vergnügen zuhören.
Don Quixote fuhr auf diese Erlaubnis folgendermaßen fort. »Ich, meine Herren, bin ein irrender Ritter, dessen Handwerk in Ausübung der Waffen besteht und dessen Pflicht es ist, allen Bedrängten beizustehen und allen Notleidenden Hülfe zu leisten. Schon vor einigen Tagen habe ich Euren Unstern erfahren, und welche Ursache Euch bewegt, alle Augenblicke die Waffen zu ergreifen, um Euch an Euren Feinden zu rächen. Mehr als einmal habe ich mir in meinem Verstande Euren Handel überlegt und nach den Gesetzen des Duells ausgefunden, daß Ihr irrt, wenn Ihr Euch für beschimpft haltet; denn keine einzelne Person kann einen ganzen Ort beschimpfen, es müßte denn sein, daß diese sie alle insgesamt der Verräterei zeiht, weil sie nicht insbesondere weiß, wer die Verräterei begangen hat, damit er diesen beschuldigen könne. Ein Beispiel hiervon haben wir an Don Diego Ordoñez de Lara, welcher den ganzen Ort Zamora zeihte, weil er nicht wußte, daß der einzelne Vellido Dolfos die Verräterei begangen hatte, seinen König umzubringen. Deshalb zeihte er sie dessen alle insgesamt, und alle insgesamt ging die Vergeltung und die Rache an; obgleich der Herr Don Diego hierin etwas zu weit ging und die Grenzen der Anklage überschritt, denn er hätte nicht die Toten beschuldigen sollen, ebensowenig das Wasser oder das Getreide, oder die, welche noch geboren werden sollen, nebst andern Nebensachen, die dort namhaft gemacht werden; aber mag dies laufen, denn wenn sich der Zorn zum Oberherrn macht, so hat die Zunge keinen Gebieter und Aufseher mehr, der sie einschränken könnte. Da es sich nun also befindet, daß ein einzelner nicht ein Königreich, eine Provinz, Stadt, Republik oder ganzes Volk beschimpfen kann, so folgt daraus notwendig, daß man auch nicht darauf denken müsse, eine solche Beschimpfung zu rächen, da es durchaus keine ist; denn es wäre doch ein lächerliches Ding, wenn sich die aus jenen Örtern alle Tage herumschlagen wollten, die wohl von Gassenjungen und unverständigen Leuten wegen ihres Gewerbes die Kesselflicker, Rübenbauer, Seifensieder und dergleichen mehr genannt werden. Es wäre in der Tat höchst lächerlich, wenn alle diese würdigen Ortschaften sich zusammenrotteten und auszögen, um bei jedem noch so unbedeutenden Handel die Schwerter zu Posaunen ihres Zornes zu machen. Nein, nein, Gott läßt dergleichen nicht zu und hat es verboten. Weise Männer sowie gut eingerichtete Staaten sol len wegen vier Ursachen die Waffen ergreifen und das Schwert entblößen und ihre Leiber, ihr Leben und ihr Vermögen daransetzen. Die erste Ursache ist, um den katholischen Glauben zu verteidigen; die zweite, ihr Leben zu verteidigen, welches sowohl die natürlichen als göttlichen Gesetze erlauben; die dritte, zur Verteidigung ihrer Ehre, Familie und ihres Vermögens; die vierte, im Dienste ihres Königs in einem gerechten Kriege; und wenn man will, kann man noch die fünfte hinzufügen – die man als die zweite rechnen kann –, zur Verteidigung des Vaterlandes. Diesen fünf Hauptursachen kann man noch einige beifügen, die uns auch mit Grund und Vernunft die Pflicht auflegen, zu den Waffen zu greifen; sie aber für Kleinigkeiten zu ergreifen und wegen solcher Dinge, die mehr lächerlich und lustig als beschimpfend sind, in solchem Falle scheint derjenige, welcher sie ergreift, aller Vernunft beraubt zu sein. Um so mehr, da eine ungerechte Rache zu nehmen – und gerecht kann durchaus gar keine sein – geradezu gegen den heiligen Glauben streitet, zu welchem wir uns bekennen, der uns befiehlt, unseren Feinden wohlzutun und diejenigen zu lieben, die uns hassen: ein Gebot, das, wenn es auch schwer zu erfüllen scheint, es doch nur für diejenigen ist, die weniger von Gott als von der Welt, weniger vom Geiste als vom Fleische halten, denn Jesus Christus, Gott und wahrhaftiger Mensch, der niemals log noch jemals
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