Donner: Die Chroniken von Hara 3
Himmel kommende Nass, quakte vor Vergnügen und hatte für uns andere nur leicht befremdete Blicke übrig, hielt er Regen doch für einen Segen seines Sumpfgottes Khaghun, weshalb man alles – vom Schauer bis zum Wolkenbruch – mit einem Lächeln auf den Lippen zu empfangen habe. Selbst Yumi sah das anders, sodass wir uns alle wenn irgend möglich in den Wagen zurückzogen, um uns die Hände oder Pfoten über einem Kohlenbecken zu wärmen.
Ich war ein gutes Stück gen Osten gewandert. Als ich mich umdrehte, lag der Westen noch fast finster vor mir. Trotz des heraufziehenden Dämmerlichts bereitete es mir Mühe, den Wagen und die Pferde auszumachen. Wer nicht wusste, wo und was er suchen sollte, würde ihn nie entdecken.
Im Unterschied zu den anderen hatte ich auch in dieser Nacht kein Auge zugemacht. Schlaf war mir zu einer Geißel geworden, die mir nicht schlechter zusetzte als mein Gewissen. Sobald ich auch nur einnickte, sah ich einen Reigen aus purpurroten Karten vor mir. Ich griff erst nach einer, dann nach der nächsten, schließlich nach der dritten – doch jede einzelne von ihnen zeigte die Jungfrau. Der Künstler – in welchem Reich der Tiefe er jetzt auch weilen mochte – hatte sie als Lahen wiedergegeben.
Deshalb schlief ich nie lange, falls ich es denn überhaupt einmal tat.
Auch heute hatte mich ein Albtraum weit vor Tagesanbruch aus dem Schlaf auffahren lassen. Seitdem dachte ich jede Minute daran, was wohl geschehen wäre, hätte ich in diesem seltsamen Traum die richtige Karte aus Yolas Spiel gewählt. Würde mein Augenstern dann noch leben? Oder wäre trotzdem alles so gekommen, da sich auf unser Leben nie auswirkte, was sich in der Welt der Illusion ereignete?
Diese Fragen quälten mich, doch es gab niemanden, der sie mir hätte beantworten können.
»He, Ness!«, rief hinter mir jemand.
Erschaudernd drehte ich mich um und warf Shen einen tadelnden Blick zu. Warum tauchte er jetzt hier auf? Er war in einen Umhang gehüllt, bibberte vor Kälte und trug ein vorwurfsvolles Gesicht zur Schau.
»Hast du schon wieder nicht geschlafen?«, wollte er wissen.
Ich antwortete nicht. Weshalb auch? Das war ja wohl offensichtlich.
Shen musterte mich mit einer Mischung aus Mitleid und Missbilligung. »Hör mal, Ness …«
»Hör endlich auf, meine Kinderfrau zu spielen! Ich komm schon selbst mit allem zurecht!«
Erstaunlicherweise nahm er mir diese Bemerkung weder übel, noch machte er auf dem Absatz kehrt.
»Ness, es sind jetzt fast zwei Wochen vergangen, seit Lahen gestorben ist. Langsam wird es Zeit, dass du …«
Ich funkelte ihn nur zornig an, doch das reichte, damit er verstummte. Jedem anderen an seiner Stelle hätte ich längst eine verpasst. Aber Shen war und blieb ein Dummkopf, insofern würde diese Art der Auseinandersetzung bei ihm nicht das Geringste fruchten.
»Du willst dir sicher noch die Füße vertreten«, zischte ich deshalb bloß. »Möglichst weit weg von mir, wie ich annehme.«
»Ich wollte dich nicht verletzen«, rechtfertigte er sich. »Ich wollte dir nur sagen, dass du sie nicht zurückholst und …«
Daraufhin bedachte ich ihn mit einem noch finstereren Blick. Der große Heiler der Zukunft räusperte sich und setzte erneut an, mir seine Gedanken darzulegen: »Pass auf, ohne dich sind wir hier verloren. Rona ist krank, und ich … Beim Reich der Tiefe aber auch! Wenn du glaubst, ich würde nicht darunter leiden, dass Lahen tot ist, dann irrst du dich gewaltig! Glaubst du etwa, ich hätte sie sterben lassen, wenn es mir möglich gewesen wäre, sie zu …«
»Geh dir einfach die Füße vertreten, ja?«, bat ich ihn mit brechender Stimme.
»Ach, mach doch, was du willst! Aber beschwer dich nachher nicht bei mir, ich sei nicht für dich da gewesen!«, knurrte er, ließ mich stehen und stiefelte zum Wagen zurück.
»He, Shen!«, rief ich ihm nach.
»Was denn?«, drang es mürrisch unter seiner Kapuze hervor. Immerhin blieb er stehen.
»Dich trifft an alldem keine Schuld.«
»Nicht?! Und wen trifft sie dann?! Der Skulptor konnte Menschen auferstehen …«
»Du bist nicht der Skulptor. Womöglich sind diese Geschichten über die Auferstehungen ohnehin nichts als Märchen. Ich mache dir jedenfalls nicht den geringsten Vorwurf.«
Sein freches Gebaren hatte sich im Nu verflüchtigt. Ich meinte sogar, er schniefte, würde meine Hand jedoch nicht dafür ins Feuer legen.
Schließlich kam er noch einmal zu mir zurück.
»Du klagst dich doch auch an, obwohl du ihr wahrlich
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