Donner: Die Chroniken von Hara 3
nicht hättest helfen können«, sagte er. »Du machst gerade eine schwere Zeit durch, das ist mir klar, aber glaube mir: Dass Lahen nicht mehr unter uns weilt, darfst du dir nicht vorwerfen.«
»Bist du da so sicher?«, erwiderte ich mit schiefem Grinsen. »Du willst mich aufmuntern, ich weiß, und dafür bin ich dir auch dankbar – aber ich war es nun einmal, der euch in diese Falle geführt hat. Niemand hat uns gehindert, unseren Weg mit Lereck fortzusetzen. Der Priester wollte die Straße am Meer nehmen, aber das habe ich abgelehnt. Nur deshalb sind wir Lepra in die Hände gefallen.«
»Du bist wirklich ein Sturkopf«, sagte Shen und seufzte schwer. »Man kann dich einfach nicht von deiner Meinung abbringen.«
Mit diesen Worten drehte er sich um und überließ mich einzig der Gesellschaft des heulenden Windes. Ich blieb noch eine Weile stehen und lauschte dem Regen, der auf das hohe Gras prasselte. Irgendwann raffte ich mich auf und stapfte zur Straße. Wenn auch ohne jede Hoffnung.
Die Spur, die ich beim Anwesen entdeckt hatte, hatte mich nach Nordosten geschickt, war jedoch vor acht Tagen verschwunden. Das verfluchte Wetter hatte uns jede Möglichkeit genommen herauszufinden, woher Lepras Gäste gekommen waren. Wohin sie gegangen waren, stellte dagegen kein Rätsel dar: ins Reich der Tiefe. Jedenfalls die meisten von ihnen. Den Nekromanten war ein warmer Empfang bereitet worden, den keiner von ihnen überlebt hatte – bis auf denjenigen, der Lepra und meinen Augenstern ermordet hatte. Und mit dem hatte ich noch ein Wörtchen zu reden.
Nur erwies sich das als unmöglich, hatte sich dieser Dreckskerl doch in Luft aufgelöst, sowohl im wörtlichen wie im übertragenen Sinne. Denn auch von Lahens Leiche hatten Spuren weggeführt, diese brachen allerdings nach vierzig Yard ab, endeten in einem kreisrunden Brandfleck. Shen hatte vermutet, der Schweinehund habe meine Frau nicht lange überlebt, sondern sei wie ein Streichholz niedergebrannt. Dem stimmte ich jedoch nicht zu. Wenn es so gewesen wäre, hätte ich Knochen finden müssen, schließlich war das Feuer nicht so heiß gewesen, dass es auch sie hätte verschlingen können. Dann hätte die Erde anders ausgesehen …
Wut und Verzweiflung nagten an mir. Wo sollte ich den Mörder jetzt noch suchen? Wenn ich nicht den leisesten Hinweis in Händen hatte. Jeder könnte Lahen umgebracht haben, ein Nekromant ebenso gut wie eine Schreitende oder eine der Verdammten. Oder jemand, an den ich nicht mal im Traum dachte. Nun schwand auch noch meine letzte Hoffnung, den Ort zu erreichen, zu dem die Spuren auf dem Anwesen wiesen. Sie wurden erbarmungslos vom Regen getilgt. Trotzdem verfolgte ich die Straße hartnäckig weiter, hielt verbissen nach irgendeiner Kleinigkeit Ausschau, die mich am Ende zu Lahens Mörder führen würde.
Auch wenn ich selbst jeden Tag weniger daran glaubte.
»Aus, du Hund?«, fiepte Yumi traurig, als er den Kopf zwischen der linken und rechten Plane des Wagens hervorschob.
Ich blickte Ghbabakh fragend an, der neben den Pferden herlief.
»Er fragwat, ob du nicht zufälligwa etwas Zwiebakwa übrigwa hast«, übersetzte mir der Blasge die Worte des Waiyas.
Seufzend klemmte ich mir den Zügel unter die Achsel, holte einen Zwieback aus meiner Tasche, brach ihn in zwei Hälften und reichte die eine davon Yumi. Seine schwarzen Augen funkelten begeistert, als er mit den schmalen Händen danach griff, sich das Stück in die Wange schob und sich in deutlich gehobener Stimmung ins Wageninnere zurückzog.
»Der verdrückt ganz schön was.«
»Nicht so viel wie ich«, erwiderte Ghbabakh grinsend und klopfte sich auf den Bauch.
Und recht hatte er. Ein Blasge isst selten, dann aber viel. Vor zwei Tagen hatte dieser Muskelberg geradezu leichtfüßig einer Saiga nachgesetzt, sie gefangen – und samt Hörnern und Hufen verspeist.
»Du siehst aus, als hättest du schlecht gweschlafen, Menschlein.«
»Mir geht’s bestens«, knurrte ich.
»Dein Freund teilt diese Meinungwa aber nicht. Man darf nicht an sein totes Weibchen denkwen.«
»Du musst es ja wissen«, zischte ich.
»Gwanz richtigwa«, bestätigte er ernst und stellte stolz seinen giftigen Kamm auf. »Als ich noch ein kleiner Sjiri war, also noch nicht mal wusste, ob ich zu einem Männchen oder einem Weibchen werden würde, habe ich mit Khaghun gesprochen, der mir viele Gweschichten erzählt hat. Wir sterben nicht. Wir gwehen nur fort. In eine andere Welt. Eine bessere. Die warm ist. Und
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