Donner: Die Chroniken von Hara 3
Schneeflocken trügerisch langsam zu Boden segelten. Die Erde nahm sie wohlwollend auf und hatte keine Eile, sie in Wasser zu verwandeln.
Es war noch keine Stunde vergangen, als alles um uns herum weiß war. Die Ye-arre, die von ihrem Spähflug zurückkehrten, schüttelten sich die Flocken von den Federn und nahmen hinter den Reitern Platz. Auf mein Pferd setzte sich ein wortkarger, finster dreinblickender Kerl, der vor Kälte zitterte wie ein Blatt im Wind. Irgendwann hielt ich sein Zähneklappern nicht mehr aus und gab ihm meinen Umhang. Die warme Jacke würde mir schon reichen. Der Flatterer nickte dankbar – was ihm auch in dieser Situation jedes Wort ersparte.
Wegen des Schnees erreichten wir die Treppe des Gehenkten auch an diesem Tag noch nicht. Die Dunkelheit fiel über uns herein, als wir erst den halben Weg hinter uns gebracht hatten. Wir beschlossen, unser Nachtlager in einem Tannenwald aufzuschlagen. Nachdem wir Decken über die Pferde gelegt hatten, entzündeten wir zahlreiche Feuer.
Ghbabakh fällte zusammen mit drei Männern ein paar Bäume und zerhackte sie, damit wir Feuerholz hatten. Ohne uns um unsere Sicherheit zu scheren, ließen wir die ganze Nacht über große Feuer brennen und saßen dicht gedrängt um sie herum. Die Einzige, die nicht fror, war Typhus – aber sie dachte gar nicht daran, ihren Funken mit uns anderen zu teilen.
Rona versuchte zwar, etwas Vergleichbares zu vollbringen, doch nach kurzer Zeit war der Zauber verpufft. Offenbar überstieg er ihre Kräfte.
Der Morgen war dann durch und durch winterlich. Auf den Bäumen lag Raureif, alles um uns herum war weiß. Von nun an durften wir nicht mehr auf die Pferde hoffen: Wir mussten die Tiere am Zügel führen, während wir unseren Weg unter der Schneedecke ertasteten.
Ga-nor führte uns und blieb immer wieder stehen, um die gangbarsten Stellen zu finden. Wir kraxelten einen steilen und gefährlichen Pfad hinunter. Jede Minute konnte einer von uns abstürzen und ins Unbekannte fallen.
Luk, der hinter mir ging, rief leise seine Kröte an und hatte für Kallen nur barsche Worte übrig, als dieser ihn bat, doch bitte nicht einzuschlafen und ein wenig schneller zu gehen. Typhus befand sich irgendwo am Ende unserer Kette, unter Aufsicht von Ghbabakh, und zürnte der ganzen Welt. Sie machte ein Gesicht, als würde sie gleich den Zahnschmerztod sterben. Die verwöhnte Dame, die so unvermutet in einem Männerkörper gelandet war und diesen Verlust vorerst ertragen musste, schien oft genug kurz davor, uns alle umzubringen.
Rona hielt sich tapfer, wäre aber sicher längst gescheitert, wenn Shen ihr nicht immer wieder geholfen hätte, der stets in ihrer Nähe war. Für niemanden in unserer vielköpfigen Schar war es ein Geheimnis, was die beiden füreinander empfanden. Die Männer rückten ihnen sowieso nie auf die Pelle, denn vor Funkenträgern hatten alle Respekt. Deshalb wunderten sie sich auch über gewisse Absonderlichkeiten unseres
Glimmenden Pork
nicht allzu sehr, nahmen sie sowohl seinen wilden Charakter als auch seine Allüren hin.
Vor mir lief der Priester. Er hatte einen zottigen Bart, listige braune Augen und einen unauslöschlichen Glauben. Jeden Morgen begann er mit einem Gebet, jeden Abend beendete er mit einem. In der Regel dankte er Meloth für einen weiteren Tag, den er erleben durfte, bat um Kraft und Glück für sich und die Menschen in seiner Begleitung. Um Othor herum versammelten sich dann immer ein paar Mann, aber diejenigen, die nicht zum Gebet eilten, riefen keineswegs sein Missfallen hervor. Nie tadelte er einen deswegen, was ich bei keinem der Priester, die ich kannte, je erlebt hatte.
Das gefiel mir schon mal ganz gut.
Denn es gab nur einen Gott, und der war gerecht und liebte dich, selbst wenn er unglaublich viel um die Ohren hatte. Selbst wenn du das letzte Mal vor hundert Jahren gebetet und ihm noch nie ein Opfer gebracht hattest. Und er tat gut daran, jedenfalls wesentlich besser als die Priester mit ihrem ewigen: Er wird dich mit Blitzen treffen, verfluchter Sünder, denn du hast vergessen, zur Nacht ein
Gepriesen sei Meloth
zu beten.
Manchmal fragte ich mich sogar, ob Gott unsere Gebete überhaupt brauchte. Vermutlich nicht. Vermutlich waren sie nur für einen selbst wichtig – was aber einige dieser ach so klugen Tempelangehörigen nicht einsehen wollten. Meloth wiederum dürfte sich meiner Ansicht nach recht wohlwollend gegenüber denjenigen zeigen, die ihn nicht mit ihrem ständigen Gejammer
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